6. Die letzten Tage
Wir sind jetzt bei der allerletzten Phase der Ereignisse angekommen, die der Wiederkunft unseres Herrn Jesus, zusammen mit Seiner Versammlung, unmittelbar vorausgehen. Mehr als je ist Jerusalem hier der Mittelpunkt der Ereignisse. Zu dem Zeitpunkt, mit dem dieses Kapitel beginnt, wird das Land Palästina, in dem die zurückgekehrten Juden einen jüdischen Staat errichtet haben, besetzt sein von den assyrischen Heeren (vermutlich Syrien und Irak), zusammen mit ihren Bundesgenossen (mit ihren gegenwärtigen Namen wahrscheinlich Jordanien, Saudi‑Arabien u. a.), und zwar unter der Führung des „Königs des Nordens“. Dieser König hat mit seinen Heeren das Land überflutet, eine Belagerung vor Jerusalem errichtet und die Stadt eingenommen, jedoch nicht völlig verwüstet; die Hälfte der Bevölkerung ist zwar in Gefangenschaft gezogen, die übrigen aber sind nicht ausgerottet.
Die Gläubigen aus Judäa sind außerhalb des Landes verhältnismäßig sicher, doch in Jerusalem ist eine Handvoll Treuer übriggeblieben, die schwer geprüft werden und zu Gott um Rettung rufen; dabei haben sie das Schlimmste noch nicht erlebt. Schwer lastet die Hand des Assyrers auf der Bevölkerung des Landes, soweit sie sich ihm nicht unterworfen hat. Zugleich versucht er durch listige Betrügereien, die Sympathie vieler zu gewinnen. Seine „Bundesgenossen“ behält er aufmerksam im Auge, ob er nicht auch sie unter seinen Einfluß bekommen kann. Hinter ihm steht die große russische Macht, die beobachtet, wie die Lage sich im Nahen Osten entwickelt. Ja, die Augen der ganzen Welt, und besonders die des römischen Staatsoberhauptes, sind auf dieses spannungsgeladene Gebiet gerichtet.
Die römischen Heere ziehen herauf
Natürlich wird der Antichrist in dieser Periode nicht untätig sein. Wir haben ja gesehen, daß die Führer Jerusalems ein Bündnis mit dem römischen Reich geschlossen haben (Jes 28, 15; 57, 9; Dan 9, 27), um sich gegen die Invasion des Assyrers zu schützen. Da der Assyrer aber nun so plötzlich das Land überflutet hat, rufen die gottlosen Juden unter Führung ihres Königs voller Furcht ihren großen Bundesgenossen zu Hilfe. Aus dem Folgenden können wir erkennen, daß der Antichrist offensichtlich die Stadt zeitig zu verlassen wußte, um bei seinem starken Freund unterzukommen. Er wird sein Volk allein lassen. So kommt er, auf der Flucht vor der Besatzungsmacht, als ein König ohne Land in Rom an. Sein Königtum ist endgültig zu Ende (wenn er selbst es auch noch nicht weiß), und das ist der Grund, weshalb er ab Offenbarung 16 nicht mehr „das Tier aus der Erde“ genannt wird ‑ was auf sein Königtum hinweist ‑, sondern „der falsche Prophet“ (16, 13; 19, 20), was auf seine geistliche Macht hindeutet: auf die teuflischen Einflüsse, womit er die Menschen in seinen Griff zu bekommen wußte und womit er sie zu seinem abscheulichen Götzendienst verleitet hat (Mt 12, 43‑45; 24, 24; Joh 5, 43; 2. Thess 2, 3‑10; Dan 11, 36‑39). Aufgrund ihres Bündnisses wird er seinen Freund dazu bewegen, ein großes Heer aufzustellen und aufzumarschieren, mit dem Ziel, das Land von dem Joch des Assyrers zu befreien, aber darüber hinaus, um den Überrest auszurotten und die bevorstehende Regierung Christi zu verhindern, wie wir sehen werden.
In Offenbarung 16 haben wir die sieben Schalen des Grimmes Gottes. Das ist die letzte Phase der Gerichte Gottes über die Erde, unmittelbar bevor Christus aus dem Himmel herniederkommt. Es ist nicht mehr der Zorn Gottes, sondern der Zorn des Lammes, der über die Menschen ausgegossen wird. Ab Vers 12 lesen wir: „Und der sechste [Engel] goß seine Schale aus auf den großen Strom Euphrat; und sein Wasser vertrocknete, auf daß der Weg der Könige bereitet würde, die von Sonnenaufgang herkommen. Und ich sah aus dem Munde des Drachen und aus dem Munde des Tieres und aus dem Munde des falschen Propheten drei unreine Geister kommen, wie Frösche; denn es sind Geister von Dämonen, die Zeichen tun, welche zu den Königen des ganzen Erdkreises ausgehen, sie zu versammeln zu dem Kriege [jenes] großen Tages Gottes, des Allmächtigen . . . Und er versammelte sie an den Ort, der auf hebräisch Armagedon heißt.“
In den vorhergehenden fünf Schalen ‑ in Kap. 15 waren die Überwinder vorgestellt worden, die durch die Gerichte hindurchgegangen sind ‑ sehen wir Gerichte Gottes über die verschiedenen Teile der Erde: zuerst über „die Erde“ im engeren Sinn, das ist in der Offenbarung im allgemeinen das Gebiet des öffentlichen Zeugnisses Gottes, das in einer festen Beziehung zu Ihm steht, also vor allem die Christenheit und oft zugleich der politische Bereich, in dem sich die römische Kirche befindet, also das römische Reich. Dann die zweite Zornesschale über das Meer, die ungeordneten Völkermassen außerhalb des Römischen Reiches, danach die Wasserquellen, die gesonderten Völker; danach über die Sonne: die Lebensquelle der Menschen, die zu einer tödlichen Kraft wird. Darauf über das Tier selbst und sein Reich.
Wir kommen dann zu der sechsten Zornesschale. Zunächst wird erwähnt, daß der Weg für die Könige aus dem Fernen Osten bereitet wird, die also offensichtlich ebenfalls an dem großen Aufmarsch des römischen Führers und seiner Bundesgenossen beteiligt sind: die Könige der Erde; sehr wahrscheinlich ist das auch wieder die „Römische Erde“ (vgl. Lk 2, 1; Offb 17, 11‑14). Vielleicht besteht ein Zusammenhang zwischen diesen Königen aus dem Fernen Osten und den „vier Engeln“, die an dem großen Strome „Euphrat“ gebunden sind (Offb 9, 13‑16). Wie dem auch sei, deutlich ist, daß die westeuropäischen (römischen) Heere sich bereit machen, nach Palästina zu ziehen, um gegen Gott Selbst zu streiten. Sie versammeln sich an einem Ort, genannt „Armagedon“, d. h. „Har Megiddo“, d. i. der Berg (oder Gebirge) von Megiddo.
Wenn wir diese Verse mit Kapitel 19, 19 vergleichen, scheint mir die Annahme auf der Hand zu liegen, daß das auch der Ort ist, an dem die römischen Heere gerichtet werden ‑ wozu sollte auch sonst das Nennen des Namens dieses Sammlungsortes dienen? Wenn das das Gebiet der großen Schlacht ist, dann werden wir sogleich an die großen Schlachten erinnert, die in früheren Zeiten in den Ebenen von Megiddo geführt wurden. Gerade dieses berüchtigte Schlachtfeld ist der Ort, an dem viele Könige gefallen sind. Zunächst lesen wir in der Bibel von einem König von Megiddo selbst, der von Josua geschlagen wurde (Jos 12,7.21). Danach hören wir von einer Schlacht, die Barak gegen Jabin, den König von Hazor, mit seinem Heerobersten Sisera führte; beide wurden geschlagen (Ri 4, 7. 24; 5, 19). Auch Gideon hat in dieser Gegend eine Schlacht geführt, und zwar gegen die Midianiter, bei der ihre Fürsten getötet wurden (Ri 6, 33; 7, 1. 25). Saul hat in dieser Gegend, auf dem Gebirge Gilboa, seinen letzten Kampf gekämpft und ist dort gefallen (l. Sam 31, 1); er ist eines der deutlichsten Vorbilder von dem Antichristen. Zur Zeit Salomos war Megiddo einer der wichtigsten strategischen Stützpunkte (l. Kön 9, 15‑19). Megiddo ist auch der Ort, wohin der König Ahasja von Juda flüchtete und wo er starb, nachdem er von Jehus Soldaten verwundet worden war (2. Kön 9, 27). Zum Schluß lesen wir noch in der Schrift, daß es dieser Ort war, an dem der König Josia im Kampf gegen den Pharao Neko fiel (2. Kön 23, 29); das Klagelied, das Israel über ihn anhob, klingt bis in die Endzeit hinein: wenn sie die Wehklage anstimmen werden, wenn sie Den anschauen, den sie durchstochen haben (2. Chron 35, 25; Sach 12, 11). Danach ist Megiddo noch häufig der Schauplatz von Gerichten und Kriegen gewesen; in der Zeit der Makkabäer, später zur Zeit der römischen Herrschaft, und dann wieder viel später während der langjährigen Einfälle der Türken, und schließlich im ersten Weltkrieg.
Das Gericht über das Tier und den falschen Propheten (1)
Diese Ebene von Megiddo, umgeben von Bergen, Schlachtfeld durch Jahrhunderte, wo schon so viele Könige gefallen sind, wird auch der Ort sein, an dem das römische Staatsoberhaupt und der Antichrist ihre Heere versammeln werden und wo der Herr Jesus sie vernichten wird. Wenn sie auch im Sinn haben, Palästina zu befreien und den Assyrer zu vertreiben, so ist ihre Hauptabsicht doch, gegen den Messias und Seine Treuen zu kämpfen. „Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen miteinander wider Jahwe und wider seinen Gesalbten: Lasset uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile“ (Ps 2, 2. 3). „Diese [die zehn Könige] haben einen Sinn und geben ihre Macht und Gewalt dem Tiere. Diese werden mit dem Lamme Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden; denn er ist Herr der Herren und König der Könige, und die mit ihm sind Berufene und Auserwählte und Treue“ (Offb 17, 13. 14). Ihr Kampf ist gegen das Lamm, wenn Er, der Gott Selbst ist (vgl. 1. Tim 6, 14‑16), zusammen mit den himmlischen Heiligen und den Engeln vom Himmel kommen wird, um sie zu schlagen. Das finden wir in Offenbarung 19: „Und ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, [genannt] Treu und Wahrhaftig, und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit … Und die Kriegsheere, die in dem Himmel sind, folgten ihm auf weißen Pferden, angetan mit weißer, reiner Leinwand. Und aus seinem Mund geht hervor ein scharfes, zweischneidiges Schwert, auf daß er damit die Nationen schlage; und er wird sie weiden mit eiserner Rute [siehe 2, 27; 12, 5; Ps 2, 9], und er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen [siehe 14, 191 . . . Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferde saß, und mit seinem Heere. Und es wurde ergriffen das Tier und der falsche Prophet … lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt. Und die übrigen wurden getötet mit dem Schwerte dessen, der auf dem Pferde saß, welches Schwert aus seinem Munde hervorging; und alle Vögel wurden von ihrem Fleische gesättigt“ (Verse 11. 14. 15. 19‑21). Das ist das plötzliche und radikale Ende dieser beiden teuflischen Männer, die es wagen, gegen Gott aufzustehen. Wenn sie alle ihre Macht zusammengeballt haben, um gegen das Lamm zu kämpfen, werden sie von ihm vernichtet, bevor sie überhaupt etwas unternehmen können. Dadurch werden sie von den weiteren Ereignissen ausgeschaltet ‑ ihre Rolle ist ausgespielt. Völlig getrennt von dem, was weiterhin geschehen wird (in Verbindung mit dem Assyrer), werden sie vorzeitig von dem Schauplatz weggenommen.
Der Unterschied zwischen dem Assyrer und dem Tier
Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig. Es ist nämlich wesentlich, das Gericht über das Tier und den falschen Propheten von dem Gericht über den Assyrer zu unterscheiden, sowohl was seinen Charakter, als auch was den Ort und den Zeitpunkt betrifft. Häufig wird angenommen, daß die römischen Heere und der Assyrer mit seinen Mächten sich an einem Ort versammeln werden und der Herr sie zusammen schlägt, aber es scheint mir klare Hinweise zu geben, daß das falsch ist. Als erstes fällt schon auf, daß nirgends in der Schrift die Römer und die Assyrer in dem Endkampf zusammen genannt werden. Das kann übrigens auch nicht sein, denn wir haben ja gesehen, daß es zwei Arten von Prophezeiungen gibt: solche, die über die „Zeiten der Nationen“ sprechen, wenn Israel nicht mehr von Gott als Volk anerkannt wird und die Weltmacht den aufeinander folgenden Häuptern der Nationen übertragen wird (von denen das römische Tier das letzte ist), und solche, die von der Zeit sprechen, in der Israel noch als Volk anerkannt ist, aber in Sünde lebt und das Gericht durch die Rute Gottes, das ist der Assyrer, erfährt. Sowohl das Haupt der Nationen als auch der Assyrer haben sich gegen Gott erhoben und werden gerichtet, aber aus völlig verschiedenen Gründen: die Assyrer, weil sie sich gegen Israel gebrüstet haben, als Gott Israel noch anerkannte und es noch einen Überrest gab; die Häupter der Nationen wegen ihres Hochmuts und ihrer Unterdrückung des „Lo‑Ammi“, als sie von Gott die Macht bekommen hatten. Es ist daher sehr vereinfacht zu sagen, daß beide Gerichte ein und dasselbe sind, um so mehr als die Bibel sie nun gerade so streng unterscheidet und sie durch ganz verschiedene Propheten behandeln läßt. Der Irrtum ist zwar begreiflich, weil bei dem Versammeln der römischen Heere alle „Könige der Erde“ versammelt werden und beim Aufzug des Assyrers alle „Nationen der Erde“. Aber diese Begriffe bedeuten gewiß nicht dasselbe. In der prophetischen Sprache der „Lo‑Ammi‑Propheten“ ist „die Erde“ hauptsächlich die römische Erde, wie schon früher gesagt, also das Zentrum der Regierung des letzten Weltreiches; aber in den „Ammi‑Propheten“ ist die Erde der prophetische Gesichtskreis Israels, denn dort steht die Regierung Gottes in Israel im Mittelpunkt. Im ersten Fall geht es also um die römischen Könige (Offb 17, 12‑14), im zweiten Fall um die Nationen rings um Palästina.
Hiermit in Übereinstimmung ist auch, daß Christus bei beiden Gerichten in einem völlig unterschiedlichen Charakter auftritt. In bezug auf die römischen Mächte geht es um die Herrschaft über die Nationen: dort ist Er der „Menschensohn“, der als der Löwe aus dem Stamm Juda, als das Lamm, das die Welt von Sünde befreit, aus der Hand Gottes die Weltmacht empfängt (Dan 7, 13. 14; Offb 5, 1‑7).(Gleichzeitig aber ist Er Gott, vgl. Dan 7, 13. 22; 1. Tim 6, 14‑16 mit Offb 19, 16). Als der König der Könige schlägt Er das Haupt der Nationen, vernichtet die menschliche Herrschaft und richtet ein eigenes Königreich auf, das in Ewigkeit nicht zerstört wird (Dan 2, 44. 47; Offb 20, 4c). In bezug auf den Assyrer geht es nicht um die Weltherrschaft, sondern um die Beschützung des von Gott anerkannten Überrestes, der von dem Assyrer bedrängt wird. Deshalb wird Christus hier immer Jahwe, der Bundesgott, genannt. Hier wird Israel wieder aufs neue von Gott anerkannt, d. h. der treue Teil des Volkes, der sich bekehrt hat. Mit diesem Überrest macht der Herr Sich eins, wie wir gesehen haben, und Er wird kommen, um ihn zu erlösen und seine Feinde zu schlagen. Daher wird in Verbindung mit der Vernichtung des Assyrers auch stets von der Erlösung des Überrestes gesprochen. Die Heiligen werden zwar auch von dem römischen Tier bedrängt (siehe Dan 7), aber dort ist das Kennzeichen, daß das Haupt der Nationen, das von Gott die Macht bekommen hat, jetzt die Treuen Gottes verfolgt, sich gegen sie erhebt und sie verspottet, weil Gott ja nicht mehr mit ihnen ist. Der Charakter der Unterdrückung von seiten Assurs aber ist, daß er gegen Gottes Volk gesandt ist, gegen das Volk, mit dem Gott wieder in einer festen Beziehung steht (das ist der Überrest, das wahre Israel), gegen das der Assyrer sich aber brüstet.
Das bringt uns wieder zu einem anderen Punkt: Das Gericht über das Tier führt Christus allein aus (abgesehen von den himmlischen Heeren), denn hierbei geht es um die Vernichtung aller menschlichen Herrschaft (die der Nationen in dem Tier und die Israels in dem falschen Propheten), wobei Israel selbst keine Rolle spielen kann, weil es Lo‑Ammi ist. Aber wo es um den Assyrer geht und wo also die Rede von einem anerkannten Überrest ist, da hat der Überrest selbst einen wesentlichen Anteil an dem Kampf gegen Assur (wenn auch das eigentliche Gericht über den König des Nordens dem Herrn Selbst vorbehalten bleibt). Das werden wir noch ausführlicher besprechen. Im letzten Fall ist es genauso wie in alttestamentlichen Zeiten, als Gott für Sein Volk stritt und zusammen mit ihnen die Feinde schlug (siehe vorläufig Sach 14, 3).
Zwei Punkte können dieses Thema noch vereinfachen, nämlich die Verschiedenheit bezüglich des Ortes und der Zeit dieser beiden Gerichte. Das Gericht über das Tier und den falschen Propheten findet in der Ebene von Megiddo („Ausrottungs‑ oder Versammlungsplatz“) statt, das Gericht über den Assyrer und seine Bundesgenossen aber findet in Tal Josaphat statt („Tat, wo Jahwe richtet“, Joel 3, 2. 12; vgl. 2. Chron 20); das ist dicht bei Jerusalem (Sach 14, 3. 4).
Diese Gerichte müssen auch zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden; in Offenbarung 19 kommt der Herr auf einem weißen Pferd aus dem Himmel hernieder, aber es steht durchaus nicht da, daß Er auf die Erde kommt. Es ist ein himmlisches Gericht, denn es geht um das himmlische Königreich, das aufgerichtet werden wird. Doch bei dem Gericht über den Assyrer kommt Christus als Jahwe auf den Ölberg hernieder; Er betritt das Land, um Sein Volk zu befreien und für sie zu streiten. Hier ist es ein irdisches Gericht, denn es geht um das irdische Volk Gottes und ein irdisches Königreich in Israel.
Das Gericht über das Tier und den falschen Propheten (2)
Wir haben also gesehen, wie das römische Staatsoberhaupt und der Antichrist zu ihrem Ende kommen werden. Einige Schriftstellen berichten uns etwas mehr über dieses Gericht. Das Buch Daniel beschreibt uns verschiedene Male den Untergang des wiederhergestellten römischen Reiches und dessen Ablösung durch das himmlische Königreich Gottes. „Und in den Tagen dieser [nämlich der römischen] Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, welches ewiglich nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volke überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber ewiglich bestehen“ (Dan 2, 44; lies Verse 31‑45). Durch die Vernichtung des römischen Reiches kommt also alle Herrschaft des Menschen zu ihrem Ende, und Gott wird für ewig König über die Erde sein. Kapitel 7 lehrt uns jedoch, daß Gott, der König, auch zugleich der Menschensohn ist . . . „Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor denselben gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (Verse 13 und 14); und in den Versen 26 und 27: „Aber das Gericht wird sich setzen; und man wird seine Herrschaft wegnehmen, um sie zu vernichten [das ist das römische Tier] und zu zerstören bis zum Ende. Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volke der Heiligen der höchsten Örter gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Herrschaften werden ihm dienen und gehorchen.“ Hier sehen wir noch etwas Neues: Wenn das römische Tier vernichtet ist, wird ein göttliches Königreich aufgerichtet, und sein Mittelpunkt ist dann Israel, denn „das Volk der Heiligen der höchsten Örter“ wird an dieser Herrschaft beteiligt sein. Das sind die himmlischen, jüdischen Heiligen, die zu den auferstandenen Heiligen in Offenbarung 20, 4 gehören, die mit dem Christus tausend Jahre leben und herrschen werden.
Was den Antichristen betrifft, so wird der Herr Jesus ihn verzehren „durch den Hauch seines Mundes“ und ihn vernichten „durch die Erscheinung seiner Ankunft“ (2. Thess 2, 8; vgl. Jes 11, 4). Er wird den Feind wegfegen (Zeph 3, 15); „Sein Arm [der des nichtigen Hirten, des Antichristen] soll gänzlich verdorren, und sein rechtes Auge völlig erlöschen“ (Sach 11, 17). Bemerkenswert ist die finstere Sprache in Jesaja 30, 33. In diesem Abschnitt (Verse 27‑33) lesen wir von dem Gericht über Assur (Vers 31) bei der Wiederkunft des Herrn (Vers 27). Dann sagt Vers 33: „Denn vorlängst ist eine Greuelstätte [Tophet; siehe 2. Kön 23, IOJ zugerichtet; auch für den König ist sie bereitet.“ Tophet (was „verächtlich anspeien“ oder „Feuerplatz“ bedeutet) ist ein Bild von der Hölle (vgl. Jer 3, 31‑33); das Feuer der Hölle ist also bereitet für den Assyrer, aber auch für „den König“. Diese geheimnisvolle Person ist dieselbe wie in Jesaja 57, 9, Daniel 11, 36 und vorbildlich in Jeremia 4, 9; es ist merkwürdig, daß er hier erwähnt wird, aber der Zusammenhang wird deutlicher, wenn man bedenkt, daß diese Prophezeiung ein Teil des zusammenhängenden Abschnittes von Kapitel 28‑35 ist, worin schon früher das Gericht über den hochmütigen Herrscher Jerusalems vorhergesagt wurde, nämlich in Kapitel 28, 14‑22, und zwar gleichfalls in Verbindung mit dem Einfall des Assyrers (Verse 2. 15. 18. 19). Aus unserem Vers geht also hervor, daß der Antichrist in die Hölle geworfen wird, wie auch Offenbarung 19, 20 beweist.
Wie gesagt, handelt es sich bei dem Gericht über das Tier und den falschen Propheten und dem Gericht über den Assyrer um zwei voneinander getrennte Gerichte, aber es ist klar, daß doch das Kommen aus dem Himmel, um die beiden ersten Mächte in Armagedon zu richten, unmittelbar mit dem Kommen auf den Ölberg verbunden ist, um die zu Jerusalem versammelten Nationen zu richten. Es ist ein Kommen, eine Erscheinung, aber aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und in unterschiedlichen Phasen; sogar das Kommen des Herrn, um die Versammlung aufzunehmen, ist schon die erste Phase Seiner Wiederkunft, obwohl das einige Jahre vor Seinem Kommen auf den Ölberg stattfindet. Dieses letzte Ereignis wollen wir nun betrachten, indem wir auf das letzte Schicksal Jerusalems eingehen.
Die Rückkehr des geflüchteten Überrestes
Der Assyrer hält noch immer das Land Palästina besetzt; viele von dem gottlosen jüdischen Volk sind schon durch seine Hand umgekommen, aber der Überrest hält noch stand, obwohl auch viele von ihnen getötet worden sind, hauptsächlich durch den Antichristen und das Tier. Währenddessen befindet sich der Überrest aus Judäa mitten unter den umliegenden Völkern und sammelt dort neue Kraft und neue Hilfsmittel, um in sein Land zurückzukehren und den Kampf gegen die Besatzungsmacht aufnehmen zu können (vgl. Sach 14, 14). Gott Selbst kommt mit der Aufforderung zu ihnen, in ihr Land zurückzukehren, unmittelbar, nachdem Er dem Überrest in Jerusalem eine Ermunterung gegeben hat: „Und du [das ist Zion] ‑ um des Blutes deines Bundes willen entlasse ich auch deine Gefangenen aus der Grube, in welcher kein Wasser ist. Kehret zur Festung [d. i. Jerusalem] zurück, ihr Gefangenen der Hoffnung! Schon heute verkündige ich, daß ich dir das Doppelte erstatten werde“ (Sach 9, 11. 12; vgl. Jes 61, 7). Zuerst bekommen also die Treuen in Zion, die als Gefangene in einer Grube eingeschlossen saßen, die Verheißung, daß sie freigelassen werden würden, und danach ebenfalls die Treuen, die fern von Jerusalem waren, die jedoch noch Hoffnung hegen durften, denn Jahwe würde ihnen Doppeltes zurückgeben; sie mußten nach Jerusalem zurückkehren, um es zu befreien.
Diese Nachricht wird der Überrest in der Fremde mit Freude aufnehmen. Ihre Gefühle werden (wie es stets der Fall ist bei den inneren Gefühlen des Überrestes) hauptsächlich in den Psalmen beschrieben. Wir haben schon auf die Reihe der „Stufenlieder“ (Ps 120‑134) hingewiesen, die von dem „Hinaufziehen“ der gläubigen Juden nach Jerusalem berichten, also die Rückkehr des Überrestes nach Jerusalem und die Erlösung Zions beschreiben. Die ersten drei zeigen uns den Aufenthalt der Treuen in der Gefangenschaft (Ps 120), ihr Vertrauen auf Gott (Ps 121) und ihre Rückkehr nach Jerusalem. Damit beschäftigen wir uns also jetzt in Psalm 122: Sie drücken ihre Freude aus über die Aufforderung, zurückzukehren! „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasset uns zum Hause Jahwes gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem! Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich geschlossene Stadt, wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme Jahs, . . . Bittet um die Wohlfahrt Jerusalems! Es gehe wohl denen, die dich lieben! … Um meiner Brüder und meiner Genossen willen will ich sagen: Wohlfahrt sei in dir!“
Drei Dinge möchten wir besonders betonen: die Freude über die Rückkehr, den Friedenswunsch, weil Jerusalem in Krieg und Bedrängnis ist, und das Mitleiden mit den armen Brüdern, die in Jerusalem Angst ausstehen. Auch das Hohelied beschäftigt sich prophetisch mit dem Überrest, mit seiner Zuneigung zu dem Bräutigam. Lenkt nicht Kapitel 8, 5 unsere Gedanken unmittelbar auf die Rückkehr der gläubigen Juden aus der Gefangenschaft? (vgl. Ps 107, 40; Offb 12, 6. 14). Das ganze Buch ist übrigens eine prophetische Schilderung der Drangsal, der Erlösung und der Herrlichkeit des Überrestes, insbesondere der Stadt Jerusalem.*)
*) Siehe hierzu mein Buch „Das Lied der Lieder“.
Wenn die Juden aus der Gefangenschaft zurückkehren, werden sie Führer anstellen, die sie in dem Kampf gegen den Assyrer anführen. Das finden wir in Micha 5. In Vers 1 wird die Geburt des Messias angekündigt, und wir sehen dort auch, daß Er nicht sofort regieren wird, denn zuvor werden die Israeliten für lange Zeit hingegeben (weil sie den Richter Israels auf den Backen geschlagen haben; 4, 14), bis sie in Kindesnöte kommen werden, das ist die große Drangsal (siehe z. B. Kapitel 4, 9. 10). Dann wird der Rest seiner Kinder zurückkehren zu den Kindern Israel (Vers 2), und erst danach folgt die Regierung des Friedefürsten (Vers 3). Wie das geschieht, wird in den folgenden Versen beschrieben. „Wenn Assyrien in unser Land kommen und wenn es in unsere Paläste treten wird, so werden wir sieben Hirten und acht Menschenfürsten gegen dasselbe aufstellen.“ Das sind die jüdischen Führer, denen wir in Sacharja als den „Fürsten von Juda“ begegnen (Sach 12, 5. 6). Sie kehren nach Jerusalem zurück mit dem Vermögen der um sie her wohnenden Nationen: Gold und Silber und Kleider in großer Menge (Sach 14, 14).
Wir weisen nebenbei noch auf einige Psalmen hin, in denen wir die Gefühle des Überrestes nach ihrer Rückkehr in das Land finden, wenn sie den Kampf gegen den Assyrer aufnehmen: es sind die Psalmen 142‑145. Wir greifen nur einige Punkte zum weiteren Nachsinnen heraus. In Psalm 142 ist der Überrest in das Land Palästina zurückgekehrt (das „Land der Lebendigen“, Vers 5). Sie bitten um Hilfe gegen den Feind auf dem Weg, den sie wandeln (Verse 3 und 6). In Psalm 143 werden sie mit dem Feind konfrontiert, der sie angreift; deshalb bitten die Gläubigen um Rettung und darum, daß Er ihnen den Weg kundtun möge, den sie wandeln sollen (Verse 3. 6‑9): „Dein guter Geist leite mich in ebenem Lande“ (Vers 10)! In Psalm 144 beginnt der Kampf (Vers 1); Gott unterwirft ihnen die Völker (Vers 2). Die Treuen verlangen nach dem Kommen Jahwes aus dem Himmel (Vers 5) und nach der Befreiung aus der Hand der Söhne der Fremde (Verse 7. 11); Er befreit David, Seinen Knecht (den Überrest; siehe Sach 12, 8), und das Volk wird im Land gesegnet werden (Verse 12‑15); diesen Segen finden wir auch in den „Stufenliedern“ 127 und 128 (vgl. 127, 3‑5 und 128, 3 mit 144, 12). Schließlich zeigt uns Psalm 145 den segensreichen Zustand im Friedensreich, wenn Gott König ist (Verse 10‑13) und die Gottlosen vertilgt werden (Vers 20). Die Psalmen 146‑150 sind die große Zusammenfassung des Lobes Gottes, wie es im Tausendjährigen Reich erschallen wird.
Der Assyrer erobert Ägypten
Wir wollen nun zu den Ereignissen in Palästina zurückkehren. Bevor wir den weiteren Kampf des Überrestes beschreiben, müssen wir auf einige andere Ereignisse hinweisen. Unter dem schweren Druck des Assyrers glauben viele der gottlosen Juden, ihr Heil bei Ägypten suchen zu müssen (siehe Jes 30, 1‑6; 31, 1). Sie werden aber dem Assyrer nicht entkommen, genausowenig wie die Juden, die nach dem Einfall Nebukadnezars und der Eroberung Jerusalems nach Ägypten flohen; auch sie wurden schließlich von Nebukadnezar in Ägypten eingeholt (Jer 41, 16‑43, 13). So wird auch der Assyrer, der König des Nordens, nach Ägypten weiterziehen, nachdem er Palästina besetzt und Jerusalem eingenommen hat.
„Und er wird seine Hand an die Länder legen, und das Land Ägypten wird nicht entrinnen; und er wird die Schätze an Gold und Silber und alle Kostbarkeiten Ägyptens in seine Gewalt bringen“ (Dan 11, 42. 43). Siehe auch Jesaja 19 und 20, wo das Schicksal Ägyptens ausführlich beschrieben wird. Diese Prophezeiung hat bereits eine Erfüllung gefunden, hat aber darüber hinaus Bezug auf die Endzeit, wie uns Kapitel 19, 19‑25 deutlich zeigt. In Kapitel 19, 4 sehen wir den Einfall des Assyrers in Ägypten: „Und ich will die Ägypter überliefern in die Hand eines harten Herrn; und ein grausamer König wird über sie herrschen, spricht der Herr, Jahwe der Heerscharen.“ Am Ende des Kapitels sehen wir aber, daß im Friedensreich ein Überrest, sowohl aus Ägypten als auch aus Assur da sein wird, der Jahwe dienen wird. Zusammen mit Israel werden alle drei „ein Segen inmitten der Erde“ sein.
Der zurückgekehrte Überrest vertreibt die Besatzungsmacht
Während nun der König des Nordens mit seinen Stoßtruppen nach Ägypten durchgezogen ist und sich dieses Land unterwirft, ist natürlich in Palästina eine Besatzungsmacht übriggeblieben, um die Juden in Schach zu halten. Diese assyrische Besatzungsmacht wird mit dem zurückgekehrten Überrest konfrontiert, wie wir das schon in Psalm 144 gesehen haben. Zusammen mit dem Assyrer sind auch andere Völker aus der Umgebung Palästinas eingefallen, wie aus Psalm 83, 3‑9 hervorgeht. Der Ausdruck „die Völker“ oder „die Nationen“ hat in den Prophezeiungen, die über die zukünftige Drangsal Jerusalems sprechen, Bezug auf diese Völker aus der Umgebung, von denen Assur das wichtigste ist, so daß Assur sehr oft allein genannt wird. Einige solche Stellen, in denen von „den Völkern“ oder „den Nationen“ gesprochen wird, sind: Jes 8, 5‑10; 17, 12‑14; 29, 8; 30, 27‑33; Joel 3, 1‑3. 9‑14; Obadja 15. 16; Micha 4, 11‑13; 5, 14; Zeph 3, 8; Sach 12, 2‑9; 14, 1‑3. 12‑19.
Es ist sehr wichtig, über diese Prophezeiungen nachzudenken, um das gut zu verstehen; auf verschiedene dieser Prophezeiungen werden wir noch näher eingehen. Zunächst auf Micha 4 und 5: Die „Nationen“ finden wir in Kap. 4, 11: „Und nun haben sich viele Nationen wider dich versammelt, die da sprechen: Sie werde entweiht, und unsere Augen mögen an Zion ihre Lust sehen! Aber sie kennen nicht die Gedanken Jahwes und verstehen nicht seinen Ratschluß; denn er hat sie gesammelt, wie man Garben auf die Tenne sammelt. Mache dich auf und drisch, Tochter Zion! denn ich werde dein Horn zu Eisen und deine Hufe zu Erz machen, und du wirst viele Völker zermalmen; und ich werde ihren Raub dem Jahwe verbannen, und ihr Vermögen dem Herrn der ganzen Erde.“ Das ist eine deutliche Sprache; der Überrest*) zieht herauf und wird von Jahwe im Kampf gegen die Besatzungsmacht unterstützt und erringt einen großen Sieg.
*) Hier steht eigentlich „Tochter Zion“; vielleicht ist hiermit also der Überrest in Jerusalem gemeint, der der Besatzungsmacht Widerstand leistet; aber es kann auch der zurückgekehrte Überrest sein, der sich im Geist mit Zion verbindet (vgl. Jes 49, 14‑23).
Kapitel 5 geht noch weiter: „Wenn Assyrien in unser Land kommen und wenn es in unsere Paläste treten wird, so werden wir sieben Hirten und acht Menschenfürsten gegen dasselbe aufstellen. Und sie werden das Land Assyrien mit dem Schwerte weiden und das Land Nimrods in seinen Toren; und er [das ist der Friedefürst aus den Versen 1‑3] wird uns von Assyrien erretten, wenn es in unser Land kommen und wenn es in unsere Grenzen treten wird“ (Verse 4 und 5). Aus diesen Versen ist ersichtlich, daß der Überrest, der zurückgekehrt ist (Vers 2), zunächst Führer anstellt; danach beginnt der Kampf, der offensichtlich so günstig verläuft, daß die Besatzungstruppen in ihr eigenes Land zurückgeschlagen werden, in ihre eigenen „Tore“ (Grenzen), denn der Überrest wird sie sogar auf ihrem eigenen Grund und Boden bekämpfen. Der endgültige Sieg ist jedoch dem Friedefürsten vorbehalten, wie wir noch sehen werden.
Wir wollen uns nun zuerst Sacharja zuwenden, der uns zu diesem Thema viele Hinweise gibt. Den Kampf des Überrestes haben wir bereits in Kapitel 10: „Mein Zorn ist wider die Hirten entbrannt, und die Böcke werde ich heimsuchen; denn Jahwe der Heerscharen wird seiner Herde, des Hauses Juda, sich annehmen und sie machen wie sein Prachtroß im Streite. Von ihm kommt der Eckstein, von ihm der Pflock, von ihm der Kriegsbogen, von ihm werden alle Bedränger hervorkommen insgesamt. Und sie werden wie Helden sein, die den Kot der Straßen im Kampfe zertreten; und sie werden kämpfen, denn Jahwe ist mit ihnen, und die Reiter auf Rossen werden zu Schanden“ (Verse 3‑5).
Hier haben wir den Kampf nur noch als einen allgemeinen Grundsatz: Gott sucht sowohl die Hirten (die falschen Führer Israels) wie auch „die Reiter auf Rossen“ heim, das ist die Besatzungsmacht. Das Haus Juda, also der jüdische Überrest, wird Kraft gewinnen zum Kampf, und Jahwe wird mit ihnen sein. Und was ihre große Kraft ist: aus Juda kommt der Eckstein hervor, von ihm der Pflock, von ihm der Kriegsbogen. Das ist Christus, was letztlich auf die Endschlacht bei Seiner Wiederkunft hinweist (vgl. besonders Ps 118, 22; Sach 3, 8. 9; 4, 10; Jes 22, 23. 25; Esra 9, 8; Jes 41, 2; Hab 3, 9). In Kapitel 12 haben wir eine ausführliche Beschreibung der Ereignisse um Jerusalem, in der Reihenfolge, wie sie nach der Rückkehr des Überrestes stattfinden werden. Vers für Vers wird in unserer Betrachtung an die Reihe kommen. Vers 2 führt uns mitten auf den Schauplatz: „Siehe, ich mache Jerusalem zu einer Taumelschale für alle Völker ringsum: und auch über Juda wird es kommen bei der Belagerung von Jerusalem. Und es wird geschehen an jenem Tage, da werde ich Jerusalem zu einem Laststein machen für alle Völker: alle, die ihn aufladen wollen, werden sich gewißlich daran verwunden. Und alle Nationen der Erde werden sich wider dasselbe versammeln.“
Die Rückkehr des Assyrers aus Ägypten
Wie hat sich die Lage in der Zwischenzeit entwickelt? Der König des Nordens ist nach Ägypten weitergezogen, holt dort die geflüchteten Juden ein und unterwirft und plündert gleichzeitig Ägypten. Inzwischen ist der Überrest aus den umliegenden Völkern nach Palästina zurückgekehrt, hat dort den Kampf gegen die assyrischen Besatzungstruppen aufgenommen und sie auf ihr eigenes Gebiet zurückdrängen können. Auch haben wir gesehen, daß im Norden die römischen Heere mit dem Antichristen versammelt sind; die werden aber von dem Herrn Jesus vernichtet.
Diese Ereignisse, die in Palästina stattfinden, werden dem König des Nordens, der sich in Ägypten aufhält, natürlich nicht entgehen. „Aber Gerüchte von Osten und von Norden her werden ihn erschrecken; und er wird ausziehen in großem Grimm, um viele zu vernichten und zu vertilgen. Und er wird sein Palastgezelt aufschlagen zwischen dem Meere und dem Berge der heiligen Zierde. Und er wird zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen“ (Dan 11, 44. 45) In Ägypten hört er Gerüchte aus dem Osten ‑ das wird also die Rückkehr des Überrestes sein, der die Besetzer vertrieben hat; und weiterhin Gerüchte aus dem Norden ‑ das wird die wunderbare Vernichtung der römischen Heere sein. Deshalb wird er in großer Eile und in großer Wut ohne Umschweife nach Palästina zurückkehren, um der Lage wieder Herr zu werden. Er lagert sich zwischen dem Mittelmeer und Jerusalem, um die Stadt nun endgültig in seine Hand zu bekommen; sein Grimm gegen Jerusalem ist nun größer als je zuvor.
Das ist die zweite Belagerung Jerusalems; nach unserer Betrachtung über Offenbarung 9 kann vielleicht angenommen werden, daß diese zweite Belagerung fünf Monate nach der ersten stattfinden wird. Die erste Belagerung fand statt, als der Assyrer aus dem Norden in das Land einfiel und es besetzte, danach Jerusalem belagerte und einnahm. Danach übt der Assyrer für eine Zeit Gewaltherrschaft über die Bevölkerung aus. Dann zieht er weiter nach Ägypten und erobert dieses Land, während inzwischen aus dem Osten der geflüchtete jüdische Überrest zurückkehrt und die Besetzer vertreibt. Dann kehrt der Assyrer in großer Wut zurück und belagert sofort wieder Jerusalem.
Man muß also die Prophezeiungen über die erste und die zweite Belagerung Jerusalems genau unterscheiden; um das zu verdeutlichen, werden wir eine Anzahl Schriftstellen untersuchen. Die Unterscheidung ist nicht schwer, wenn wir bedenken, welche Unterschiede zwischen beiden Belagerungen bestehen. Die erste Belagerung findet nach dem Einfall des Assyrers aus dem Norden statt (Jes 28, 14‑19; Joel 2, 9‑11); die zweite Belagerung findet nach der Rückkehr des Assyrers aus Ägypten statt (Dan 11, 44. 45). Darüber hinaus ‑ und das macht den Unterschied sehr deutlich ‑ wird Jerusalem nach der ersten Belagerung wohl eingenommen und unterdrückt (Jes 28, 18. 19; Obadja 11. 12; Zeph 1; Sach 14, 1. 2), aber bei der zweiten Belagerung wird Jerusalem nicht eingenommen, sondern durch das Kommen des Messias befreit (Jes 10, 24‑27; 29, 1‑8; 31, 4‑9; 33, 14‑19; vgl. Kap. 37; Dan 11, 45; Joel 3, 1. 2. 12; Obadja 15‑17; Mi 5, 5b; Sach 12, 2‑9; 14, 3‑5).
Noch deutlicher wird es, wenn wir beachten, daß die Propheten manchmal beide Belagerungen hintereinander behandeln, wie Jesaja 28 und 29, Joel 2 und 3 und Sacharja 14, 1. 2 und 3‑5. In der letzten Stelle (Sach 14) ist der Unterschied schwer zu erkennen, und wir können ihn nur durch Vergleich mit anderen Schriftstellen feststellen. Es gibt auch viele Prophezeiungen, die ebenfalls beide Belagerungen hintereinander behandeln, ohne direkt von einer Belagerung zu reden. Auch hier leiten wir das durch Vergleich mit anderen Prophezeiungen ab, siehe Dan 11, 40. 41 und 11, 44. 45; Obadja 11‑14 und 15.16; Mi 4,14 und 5,5b; Zeph l und3.
Wenn wir den Unterschied zwischen beiden Belagerungen noch verdeutlichen wollen, können wir sagen, daß die erste Belagerung das Gericht Jahwe mittels Assyrien an den gottlosen Juden ist (wobei der Überrest geläutert wird); bei der zweiten Belagerung ist es umgekehrt: sie führt zu dem Gericht Jahwes gegen den Assyrer (und endgültig gegen die gottlosen Juden) durch die treuen Juden, und letzten Endes durch Christus Selbst.
Die zweite Belagerung Jerusalems
Wenn der Unterschied zwischen beiden Belagerungen deutlich geworden ist, können wir zu einer näheren Betrachtung der zweiten. Belagerung übergehen. Jesaja 29, 1‑8 gibt die ausführlichste Beschreibung hierzu. Wie gesagt, finden wir in Kapitel 28 die erste und in Kapitel 29 die zweite Belagerung.
Das gesamte Buch besteht aus zwei Hauptteilen: Kapitel 1‑39 und 40‑66; die Kapitel 36‑39 des ersten Teils bilden einen gesonderten historischen Abschnitt, allerdings von großer prophetischer Bedeutung. Die Kapitel 1‑35 bestehen aus drei großen Teilen: der erste, Kapitel 1‑12, beschreibt den damaligen Verfall und das Gericht Gottes durch den Assyrer, obwohl die Prophezeiungen (wie jede andere Prophezeiung) bis zur Endzeit durchlaufen; siehe Kapitel 11: das Friedensreich. Die Kapitel 13‑27 beschreiben die Gerichte über die Nationen, sowohl geschichtlich als auch zukünftig; schließlich folgt unser Abschnitt, Kapitel 28‑35, der ganz zukünftig ist und die großen Schlußphasen der Drangsale und Befreiung Israels beschreibt. In dreifacher Weise wird das beschrieben, stets von einem anderen Gesichtspunkt aus, und stets erstrecken sich diese Prophezeiungen bis zum Friedensreich; die Kapitel 34 und 35 sind ein besonderer Anhang. Die Dreiteilung ist folgende: Kapitel 28 und 29 (die beiden Belagerungen); 30, 1‑26 (Ägypten oder Jahwe als Zuflucht; und Kap. 30, 27 bis Kap. 33, 24) (der König des Nordens und der König des Südens).
Wir haben diese Einteilung bewußt aufgezeigt, weil manchmal behauptet wird, daß das Studium der Prophezeiungen darauf hinausläuft, daß verschiedene Schriftstellen aneinandergereiht werden. Die Gefahr ist tatsächlich vorhanden, darum muß einem gezielten Studium ein genaues Studium der prophetischen Bücher vorausgehen, und zwar bezüglich ihres unterschiedlichen Charakters, ihrer Einteilung und ihrer Bedeutung. Erst wenn wir etwas von den Büchern in ihrer Gesamtheit verstehen, können wir sie miteinander in Beziehung bringen. Dabei zeigt sich dann, daß gerade das Vergleichen der Schrift eigentlich erst die tiefere Bedeutung jeder einzelnen Prophezeiung deutlich macht. Es ist äußerst wichtig, zu bedenken, „daß keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist“ (oder: sich selbst auslegt) (2. Petr 1, 20). Das Vergleichen einer Schriftstelle mit einer anderen Schriftstelle (aber dann jede Schriftstelle in ihrer besonderen Verbindung und in ihrem Textzusammenhang) erklärt uns erst wirklich die Schrift.
Nun zurück zu Jesaja 29: „Wehe Ariel, Ariel, Stadt wo David lagerte!“ Das ist das zweite der sechs Wehe in diesem Abschnitt (siehe 28, 1; 29, 15; 30, 1; 31, 1; 33, 1); es ist das „Wehe“ über Ariel, die Stadt Davids. Der Name Ariel weist hier also auf Jerusalem hin. Die Bedeutung dieses Namens ist nicht ganz sicher: wahrscheinlich bedeutet er „Gottesherd“, wie auch in Hesekiel 43, 16 (vgl. Jes 31, 9). Andere Stellen aber erklären diesen Namen als „Gotteslöwen“, wie auch 2. Samuel 23, 20 und 1. Chronika 11, 22 (in der Bedeutung von „mächtige Helden“, vgl. das verwandte Wort in Jesaja 33, 7); der Name kann auch „Berg Gottes“ bedeuten. Alle Bedeutungen sind interessant: Jerusalem, der alte Löwe, der auf dem Berg Gottes liegt, wird zu einer Feuerstätte, wenn Gott zum letztenmal, und zwar auf das heftigste, mit dem Volk ins Gericht geht: „Und ich werde dich im Kreise umlagern, und dich mit Heeresaufstellung einschließen, und Belagerungswerke wider dich aufrichten. Und erniedrigt wirst du aus der Erde reden, und deine Sprache wird dumpf aus dem Staube ertönen; und deine Stimme wird wie die eines Geistes aus der Erde hervorkommen, und deine Sprache wird aus dem Staube flüstern. ‑ Aber wie feiner Staub wird die Menge deiner Feinde sein, und wie dahinfahrende Spreu die Menge der Gewaltigen; und in einem Augenblick, plötzlich, wird es geschehen“ (Jes 29, 3‑5).
Größer als je zuvor wird die Not des Überrestes sein, und dann wird plötzlich das Ende da sein. Das ist die Wiederkunft Christi, wie wir noch sehen werden. Er bringt das Gericht und das Ende für alle Nationen, die Zion belagert haben, und für das gottlose jüdische Volk selbst, und Er ist es, der auch der Drangsal Seiner Treuen ein Ende macht. Jesaja 10, 24‑27 findet seine höchste Erfüllung gerade während der zweiten Belagerung, wenn die Drangsal am größten und die Erlösung am nächsten ist. Nur für die Treuen ist Hoffnung da. „Die Sünder in Zion sind erschrocken, Beben hat die Ruchlosen ergriffen“ (Jes 33, 14); denn für sie gibt es keine Hoffnung mehr, sondern nur das Gericht, aber die Gerechten werden den König schauen in Seiner Schönheit (Verse 14‑24).
Die Verteidigung des Überrestes
Die Drangsal der Treuen wird groß sein. Psalm 123 läßt uns etwas von der Not fühlen (prophetisch hat dieser Psalm auf die zweite Belagerung Bezug): „Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du thronst in den Himmeln! … Sei uns gnädig, Jahwe, sei uns gnädig! denn reichlich sind wir mit Verachtung gesättigt; Reichlich ist unsere Seele gesättigt mit dem Spotte der Sorglosen, mit der Verachtung der Hoffärtigen.“ Die Diener Jahwes werden die Treuen zusammenrufen, um gemeinsam Gott um Rettung zu bitten (Joel 2, 17), und Jahwe schenkt eine hoffnungsvolle Verheißung: „Und ich werde den von Norden Kommenden von euch entfernen und ihn in ein dürres und wüstes Land vertreiben, seinen Vortrab in das vordere Meer und seinen Nachtrab in das hintere Meer; und sein Gestank wird aufsteigen, und aufsteigen sein übler Geruch, weil er Großes getan hat (Vers 20).
In Sacharja 12 haben wir gesehen, welchen Verlauf die Ereignisse nehmen: alle umliegenden Völker sind um Jerusalem versammelt, aber von vornherein steht schon fest, daß sie sich dort gewiß verwunden werden (Vers 3). Sie werden sich in ihrer Wut nicht allein gegen Jerusalem wenden, sondern sie werden auch mit „dem Haus Juda“ zu tun bekommen, dem aus den umliegenden Ländern zurückgekehrten Überrest Judas, der von außen versuchen wird, Jerusalem zu befreien, nachdem der König des Nordens aus Ägypten zurückgekehrt ist (V 2). Und Gott wird mit ihnen sein und für sie streiten: „An jenem Tage, spricht Jahwe, werde ich alle Rosse mit Scheuwerden und ihre Reiter mit Wahnsinn schlagen; und über das Haus Juda werde ich meine Augen offen halten und alle Rosse der Völker mit Blindheit schlagen“ (Vers 4).
Von außen her werden also die zurückgekehrten Gläubigen die Belagerer angreifen, aber auch die Treuen, die in der Stadt sind, werden sich kräftig verteidigen, so kräftig sogar, daß sie den von außen angreifenden Stammesgenossen zu einer großen Hilfe sein werden: „Und die Fürsten von Juda werden in ihrem Herzen sprechen: Eine Stärke sind mir die Bewohner von Jerusalem in Jahwe der Heerscharen, ihrem Gott“ (Vers 5). Vers 6 zeigt dann den Sieg, der mit der Wiederkunft des Herrn in Verbindung steht; dieser Sieg kommt später zur Sprache (vgl. Sach 14, 3‑5. 12‑15).
Wenn wir die Lage noch einmal zusammenfassen, sehen wir, daß der Assyrer sich mit vielen anderen Nachbarstaaten rund um Jerusalem gelagert hat; die zurückgekehrten Juden greifen sie von außen an, und die belagerten Gläubigen verteidigen sich von innen heraus. Das ist der Zustand unmittelbar vor der Wiederkunft des Herrn Jesus, der mit Seinem Volk den Endsieg davontragen wird und das Gericht an den versammelten Völkern ausüben wird, vor allem aber an dem Assyrer. „Und über dich [d. i. den Assyrer] hat Jahwe geboten, daß von deinem Namen nicht mehr gesät werden soll . . . ich werde dir ein Grab machen, denn verächtlich bist du.“ „Deine Hirten schlafen, König von Assyrien, deine Edlen liegen da; dein Volk ist auf den Bergen zerstreut, und niemand sammelt es“ (Nah 1, 14; 3, 18; vgl. Zeph 2, 13).