5. Der erste Angriff des Assyrers
Wenn wir nun zu der Besprechung der politischen Ereignisse in Jerusalem übergehen, die kurz vor der Wiederkunft des Herrn stattfinden, dann ist es gut, wenn wir uns zuvor noch eine deutliche Übersicht über die Situation verschaffen. Die Juden der beiden Stämme sind in das Land Palästina zurückgekehrt und haben dort trotz der Feindschaft der umliegenden Staaten einen Staat errichtet. Sie kommen zu Wohlstand, aber sie bleiben im Unglauben gegen Gott. Es entsteht jedoch ein treuer Überrest, der seine Hoffnung auf Gott richtet. Dieser Überrest muß aber ins Ausland fliehen, wenn das Staatsoberhaupt Israels, der Antichrist (verbunden mit dem Staatsoberhaupt des wiederhergestellten Römischen Reiches), im Tempel in Jerusalem einen Götzendienst einführt. Die gläubigen Juden fliehen; lediglich in Jerusalem bleibt eine kleine Gruppe Treuer übrig.
Das assyrische Bündnis
Währenddessen bleiben die feindlichen Nachbarstaaten nicht still, sondern befinden sich in Aufruhr. Davon spricht Psalm 2: „Warum toben die Nationen und sinnen Eitles die Völkerschaften? Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen miteinander wider Jahwe und wider seinen Gesalbten: Lasset uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile!“ (Verse 1‑3). In diesem „Eitles sinnen“ spielt der Assyrer von Anfang an eine entscheidende Rolle. „Von dir [das ist Ninive, die Hauptstadt Assyriens] ist ausgegangen, der Böses sann wider Jahwe, ein nichtswürdiger Ratgeber“ (Nah 1, 11). Wir werden sehen, daß der Assyrer darauf aus ist, allein die Beute zu bekommen; um aber dieses Ziel zu erreichen, verbündet er sich anfänglich mit seinen Nachbarstaaten, und zusammen ersinnen sie einen Anschlag gegen Jerusalem. Die Treuen, die das gewahr werden, rufen in dieser Zeit zu Jahwe: „Gott, schweige nicht; verstumme nicht und sei nicht stille, o Gott! Denn siehe, deine Feinde toben, und deine Hasser erheben das Haupt. Wider dein Volk machen sie listige Anschläge und beraten sich wider deine Geborgenen. Sie sprechen: Kommet und lasset uns sie vertilgen, daß sie keine Nation mehr seien, daß nicht mehr gedacht werde des Namens Israels! Denn sie haben sich beraten mit einmütigem Herzen, sie haben einen Bund wider dich gemacht: Die Zelte Edoms und die Ismaeliter, Moab und die Hageriter, Gebal und Ammon und Amalek, Philistäa samt den Bewohnern von Tyrus; auch Assur hat sich ihnen angeschlossen; sie sind zu einem Arm geworden den Söhnen Lots“ (Ps 83, 1‑8).
Die folgenden Verse (9‑11) beschreiben in wunderschöner Weise die Gerichte, die die Nationen treffen werden, die in den letzten Tagen gegen Israel und gegen den Messias heraufziehen werden. Wir greifen den Ereignissen vor und geben hier anhand dieses Psalms einen kurzen Überblick über diese Gerichte. Die Gerichte teilen sich in drei Phasen auf: erstens Vers 9, 10, zweitens Vers 11a und drittens Vers 11b. Den ersten Feinden, die geschlagen werden, wird das geschehen, was Midian geschah, als es unter der Führung seines Heerobersten Sisera am Bach Kison, das ist bei Meggido, geschlagen wurde (vgl. Ri 4, 7; 5, 19‑21); das weist natürlich unmittelbar auf die Heere des wiederhergestellten Römischen Reiches und seiner Bundesgenossen hin, die sich in Harmagedon versammeln werden (Offb 16, 16) ‑ Harmagedon bedeutet: „Gebirge von Meggido“ ‑ und die nach Offenbarung 19, 19‑21 an diesem Ort vernichtet werden. Das sind die ersten Feinde, mit denen abgerechnet werden wird. Der zweiten Gruppe wird es ergehen wie den Edlen der Midianiter, Oreb und Seeb. Sie wurden nach Richter 7, 23‑25 auf den Bergen Ephraims getötet. Wer wird uns in diesen Edlen vorgestellt? Wir finden eine deutliche Antwort in Jesaja 10, 24‑26: „Fürchte dich nicht, mein Volk, das in Zion wohnt, vor Assur . . . Denn noch um ein gar Kleines . . . Und Jahwe der Heerscharen wird über ihn die Geißel schwingen wie in der Niederlage Midians am Felsen Oreb.“ Diese zweite Phase des Gerichts an den feindlichen Völkern umfaßt also die Niederlage Assurs; Assur wird auf den Bergen zertreten werden (siehe Jes 14, 24. 25). Auch Gog, der Fürst von Rosch (Rußland), die große Macht hinter dem König des Nordens, wird kurz danach auf den Bergen Israels geschlagen werden (Hes 39, 1‑6).
Schließlich folgt die dritte Phase: Die durch Sebach und Zalmunna dargestellten Völker werden geschlagen. Diese midianitischen Fürsten wurden nach der Geschichte in Richter 8 außerhalb Kanaans geschlagen, und das unterscheidet sie direkt von den vorausgegangenen Gerichten. Welches Gericht wird in Zukunft außerhalb des Landes ausgeübt werden, nachdem die übrigen Gerichte ausgeführt sind? Es ist die gewaltige Schlacht, die im Land Edom stattfinden wird. Aus den Beschreibungen in Jesaja 34 und 63, 1‑6 sehen wir, daß es das Gericht an den Feinden Jahwes ist, die bis dahin noch nicht geschlagen sind. In Jesaja 34, 6b lesen wir: „Denn Jahwe hat ein Schlachtopfer in Bozra und eine Schlachtung im Lande Edom.“ Das Wort „Schlachtopfer“ ist das hebräische „sebach“. Das ist also genau dasselbe Wort wie der Name des einen der beiden Fürsten. Das ist um so merkwürdiger, als dieses Wort für „Schlachtopfer“ in der Bedeutung eines Gerichtes Gottes nur dreimal im Alten Testament vorkommt: einmal für Israel (Zeph 1, 7. 8), einmal für Gog (Hes 39, 17. 19; vgl. Jer 46, 10) und hier in Jesaja 34. Daß es auch in bezug auf Gog gebraucht wird, weist auf die enge Verbindung zwischen diesen beiden letzten Gerichten, die auch in Psalm 83, 11 klar erkennbar ist ‑ obwohl also das erste Gericht in Israel und das zweite außerhalb stattfinden wird. Dieser Zusammenhang ist auch dadurch deutlich, daß das Wort „Oreb“, das „Rabe“ bedeutet, in Jesaja 34 vorkommt, nämlich in Vers 11, während die Kelter in Jesaja 63, 2. 3 auf Seeb hinweist, der in einer Kelter getötet wurde. Zum Schluß wird dieser Zustand, in den Edom durch das Gericht kommt, durch den Namen Zalmunna ausgedrückt. Dieser Name bedeutet: „Schatten (oder: Schutz) wird (ihm) vorenthalten.“ Edom ist das einzige Land, das völlig und nie mehr einen Segen empfangen, sondern eine Beute der wilden Tiere sein wird (Jes 34, 10. 11; Hes 25, 13; 35, 1‑15; Joel 3, 19; Mal 1, 3‑4).
Der Charakter des Assyrers
Wir haben also nun gesehen, daß der Assyrer einen Anschlag gegen Israel plant. Bevor wir diesen Anschlag weiter beschreiben, müssen wir zuerst der Frage nachgehen, wer dieser Assyrer eigentlich ist und in welchem Charakter er uns in den Prophezeiungen vorgestellt wird. Dazu müssen wir uns klarmachen, daß die prophetischen Bücher in zwei völlig verschiedene Gruppen aufgeteilt werden können. Die erste Gruppe der Propheten hat in einer Zeit prophezeit, als Israel noch mehr oder weniger als das Volk Gottes anerkannt war und Gott noch in der Mitte Seines Volkes die Regierung ausübte; das war also in der Zeit vor dem Fall Jerusalems im Jahre 589 v. Chr. Die zweite Gruppe der Propheten redete in der Zeit, als das Volk nicht mehr als das Volk Gottes anerkannt war, sondern für eine Zeitlang beiseitegestellt war. Die Regierung Gottes hatte nicht länger ihren Sitz in Jerusalem, sondern bei dem Haupt der Völker, beginnend mit Nebukadnezar. Diese Prophezeiungen stehen also mit den Zeiten der Nationen in Verbindung. Die Propheten, die zu dieser zweiten Gruppe gehören, sind Daniel, Johannes (Offenbarung) und zum Teil auch Sacharja. Sie gehen davon aus, daß die Herrschaft über die Erde den Nationen anvertraut ist, schildern uns ferner die Geschichte dieser Nationen in Form der vier Weltreiche und zeigen schließlich, wie auch diese Nationen versagt haben, mitschuldig werden am Tod des Messias und dann zusammen mit dem gottlosen Israel (mit Israel durch ein Bündnis verbunden) dem Endgericht anheimfallen.
Die übrigen Propheten gehören also zu der ersten Gruppe, zu der Zeit, als Israel noch anerkannt war. Ihre Themen sind nicht die Weltreiche, sondern sie zeigen uns den Verfall Israels, und zwar in zweifacher Weise: erstens den schrecklichen Götzendienst und die Auflehnung gegen Jahwe, und zweitens die Verwerfung des Messias. In diesen Propheten nun ist der Assyrer die Geißel, die Gott sendet, um Israel wegen seiner Sünden zu richten. Dieses Gericht traf an erster Stelle die zehn Stämme, die nach Assyrien weggeführt wurden. Dort sind sie bis zum heutigen Tag verschwunden und bleiben es, bis Gott Selbst sie wieder zurückbringen wird. Aber das Gericht über die zwei Stämme durch Assur hat noch immer nicht stattgefunden. Es ist ja auffallend, daß die Assyrer nie in Jerusalem gewesen sind, obwohl sie diese Stadt manchmal belagert haben (Jes 36 und 37). Dieses Gericht ist aufgeschoben bis zur Endzeit, während die früheren Gerichte (in den Jahren 589 v. Chr. und 70 n. Chr.) durch die Häupter der Weltreiche ausgeführt wurden. Dieses Gericht durch Assur über die Juden finden wir vor allem in Jesaja, Micha, Joel, Nahum und Zephanja, wo wir auch sehen, wie Assur selbst ebenfalls gerichtet wird, weil es sich gegen Gott erhoben hat.
Aus diesem allem wird deutlich, daß wir den König des Nordens, den wir in Daniel finden, nicht ohne weiteres mit dem Assyrer, z. B. in Jesaja, gleichsetzen können. Beide Propheten sprechen über völlig verschiedene Dinge und haben ganz verschiedene Ausgangspunkte. Darüber hinaus müssen wir uns klarmachen, daß der König des Nordens in Daniel aus dem vierten Teil des dritten Weltreiches hervorkommt (8, 20‑23; vgl. 7, 6; 11, 2‑4. 40) und also dem Haupt der Völker unterstellt war. Es besteht jedoch keinerlei Verbindung mehr zwischen ihm und den Weltreichen, denn er steht den „Schiffen der Kittäer“ (Dan 11, 30), das sind dort die Römer, feindlich gegenüber. Weiterhin ist der König des Nordens, genau genommen, nur König über Syrien (den nördlichen Teil des griechisch‑mazedonischen Reiches), während Assur ein weitaus größeres Gebiet umfaßt. Es scheint deshalb so zu sein, daß der König des Nordens ein Teil Assurs ist, und zwar die Vorhut, die erste Heeresmacht, die als erste heraufzieht, während die große Macht im Hintergrund, das eigentliche „Assur“, erst viel später heraufzieht. Hierfür gibt es viele Bestätigungen in der Schrift. Als erstes erfahren wir aus Daniel 8, 24, daß der König des Nordens (in Dan 8 wird er nicht so genannt, obwohl aus dem Zusammenhang ersichtlich ist, daß er derselbe ist wie der König des Nordens in Daniel 11, 40‑45) große Macht besitzen wird, aber daß es nicht seine eigene Macht sein wird: Er wird sich auf die Macht eines anderen stützen, also auf eine Macht im Hintergrund.
Wer ist diese große Macht, die anfänglich im Hintergrund bleibt, aber später als der letzte der Feinde Gottes einen großen Angriff auf Israel macht? Das muß Gog, der Fürst von Rosch (Rußland) sein, den wir in Hesekiel 38 und 39 finden. Das geht aus mehreren Stellen hervor. Erstens wird auch er als eine Macht des Nordens bezeichnet, aber dann als die Macht „aus dem äußersten Norden“, also hinter dem König des Nordens (siehe 38, 6. 15; 39, 2). Es ist die gewaltige Macht nördlich von Kleinasien und Syrien, also Rußland. Jahwe sagt jedoch in Kapitel 38, 17: „Bist du der, von welchem ich in vergangenen Tagen geredet habe durch meine Knechte, die Propheten Israels, welche in jenen Tagen Jahre lang weissagten, daß ich dich wider sie heranbringen würde?“ Man wird allerdings vergeblich in den übrigen Prophezeiungen den Namen Gog suchen, es sei denn, daß dieser Gog der Assyrer der Endzeit ist.
Die Bezeichnung „Assur“ scheint also ein allgemeiner prophetischer Begriff für die nördliche Macht zu sein, die Israel in der Endzeit angreifen wird, wobei wir dann unterscheiden müssen zwischen „dem König des Nordens“, dem Vasallen Gogs, der die ersten Angriffe ausführt, und Gog, dem Fürsten Rußlands im äußersten Norden, der den letzten großen Angriff ausführt. (Siehe hierzu ausführlicher Kapitel 8).
Die Zuchtrute Gottes
Wir kehren nun zu den endzeitlichen Ereignissen in Israel zurück. Dabei müssen wir die genannten Grundsätze im Gedächtnis behalten: Einerseits ist Israel noch Lo‑Ammi, ist im Wirkungsbereich des Hauptes der Nationen (hier des römischen Staatsoberhauptes) und mit Rom in dem letzten großen Abfall, dem Götzendienst im Tempel und der Verwerfung des Messias verbunden. Diese Verwerfung hat nun zur Folge, daß die verfolgt werden, die den wahren Messias erwarten. So werden beide, das gottlose Israel unter der Führung des Antichristen und das römische Tier, die Gegenstände des Gerichts. Andererseits ist das Ende der Zeiten der Nationen nahe und beginnt Gott wieder, unmittelbar mit dem Volk zu handeln. Er anerkennt einen Teil des Volkes als Ihm gehörend. Er sendet den Assyrer, um das gottlose Volk zu züchtigen wegen seines Götzendienstes und der Verwerfung des Messias. Und wenn sich dann der Assyrer selbst gegen Gott erhebt, kommt auch er unter Gericht, doch klar unterschieden von dem Tier und dem falschen Propheten, die zuvor gerichtet werden. Der große Unterschied zwischen dem Gericht über das Tier und dem Gericht über Assur wird später ausführlicher besprochen werden.
Wir zitieren nun zwei Schriftstellen, die zeigen, daß Gott den Assyrer wegen der zwei großen Sünden Israels sendet. Die erste ist der schon öfter angeführte Text aus Daniel 9: „Und er [der römische Fürst] wird einen festen Bund mit den Vielen [mit der Masse des jüdischen Volkes] schließen für eine Woche [sieben Jahre]; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen. Und wegen der Beschirmung [wörtlich: Flügel] der Greuel [Götzen] wird ein Verwüster kommen, und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden“ (Vers 27). Hier hören wir, daß die gottlosen Juden ihren Schutz bei dem Greuelgötzen im Tempel suchen, der, wie wir gesehen haben, das römische Staatsoberhaupt darstellt. Wegen dieses Götzendienstes wird der Verwüster kommen, und Kapitel 11 lehrt uns, daß das der König des Nordens ist. Das Bündnis mit dem römischen Tier wird nichts ausrichten, denn der Verwüster wird das Land überfluten, bis es verwüstet ist. „Und euer Bund mit dem Tode wird zunichte werden, und euer Vertrag mit dem Scheol nicht bestehen: wenn die überflutende Geißel hindurchfährt, so werdet ihr von derselben zertreten werden“, sagt Jesaja über Jerusalem (28, 18).
Der zweite Text, den wir zitieren, nennt uns die zweite Sünde Jerusalems: „Nun dränge dich zusammen, Tochter des Gedränges: Man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet; mit dem Stabe schlagen sie den Richter Israels auf den Backen“ (Mi 4, 14). Wie häufig in Micha, reden hier in einem Text mehrere Sprecher. Zuerst ist es Gott, der den Assyrer auffordert, sich in Scharen zusammenzudrängen und gegen Israel zu ziehen (zu den Ausdrücken „dränge“ und „Tochter des Gedränges“ vergleiche 1. Mose 49, 19 und Habakuk 3, 16. *)) Dann nennt der Überrest, der in Jerusalem ist, was die Folge dieses Heraufziehens ist: Der Assyrer wird Jerusalem belagern. Und schließlich gibt der Prophet selbst die Ursache dieser Belagerung an: Es geschieht, weil sie den Richter Israels auf den Backen geschlagen haben (vgl. Jes 50, 6; Klgl 3, 30). Wer dieser Richter ist, erklärt er näher in einem Zwischensatz (Kap. 5, 1), und danach fährt er fort mit einer Beschreibung dessen, was geschehen wird, wenn Assur in das Land kommt.
*) Wörtlich steht in Hab 3, 16: „Wenn derjenige gegen das Volk heranzieht, der sich in Scharen zusammendrängt“ (vgl. englische Übersetzung von JND ‑ Anmerkung des Übersetzers)
So wird dann der Assyrer, unterstützt von seinen Bundesgenossen, in das Land Israel einfallen. Doch von Anfang an zeigt sich, in welch einer hochmütigen Gesinnung er das tut. Wichtig ist in Verbindung hiermit Jesaja 10, 5‑11. Dort sehen wir, daß Assur die Rute des Zornes Gottes sein wird, und daß der Stock in der Hand Assurs der Grimm Gottes ist. Gott wird ihn senden gegen ein Volk, das Ihn vergessen hat und gegen die Nation, über die Er ergrimmt ist, um Raub zu rauben und das Volk in den Straßen zu zertreten. Wird aber der Assyrer sich auch wirklich wie ein williges Werkzeug Gottes betragen? Weit gefehlt! Seine Pläne gehen viel weiter als die Pläne Gottes, denn er wird beabsichtigen, zahllose Völker auszurotten, und denkt: „Sind nicht meine Fürsten allesamt Könige? Ist nicht Kalno wie Karchemis? nicht Hamath wie Arpad? nicht Samaria wie Damaskus? (vgl. Amos 6, 1. 2; Jes 37, 13). So wie meine Hand die Königreiche der Götzen erreicht hat ‑ und ihre geschnitzten Bilder waren mehr als die von Jerusalem und von Samaria ‑ werde ich nicht, wie ich Samaria und seinen Götzen getan habe, ebenso Jerusalem und seinen Götzen tun?“ Doch die Verse 12‑19 zeigen uns, daß Jahwe diesen Hochmut Assurs richten wird, wenn Er Sein Werk in Zion vollendet hat. Wir sehen also aus diesem Abschnitt, daß das Interesse Assurs sich auf weitere Völker richtet. Aus diesem Grund ist uns auch bei der Besprechung von Psalm 83 schon aufgefallen, daß Assur sich nur für eine Zeitlang mit den Nachbarstaaten verbünden wird und auf seine Chance wartet, auch sie zu erobern.
Deshalb sagt auch Daniel 11, 41, daß Edom, Moab und Ammon (die nach Psalm 83 seine Bundesgenossen sind) seiner Hand entrinnen werden.
Der Einfall in das Land
In verschiedenen Stellen in Jesaja wird der Einfall Assurs mit einer Überschwemmung oder mit einem Strom verglichen. Um mit dem letzten zu beginnen: „Wenn der Bedränger kommen wird wie ein Strom, so wird der Hauch Jahwes ihn in die Flucht schlagen“ (59, 19). „Darum, siehe, läßt der Herr über sie [Israel] heraufkommen die Wasser des Stromes, die mächtigen und großen ‑ den König von Assyrien und alle seine Herrlichkeit; und er wird über alle seine Betten steigen und über alle seine Ufer gehen. Und er wird in Juda eindringen, überschwemmen und überfluten; bis an den Hals wird er reichen. Und die Ausdehnung seiner Flügel wird die Breite deines Landes füllen, Immanuel!“ (8, 7. 8). Mit einer Überschwemmung wird Assur hier in Kapitel 8, 8 verglichen, weiter mit einer „überflutenden Geißel“ in 28, 15. 18; und in Vers 2 dieses Kapitels lesen wir: „Siehe, der Herr hat einen Starken und Mächtigen, gleich einem Hagelwetter, einem verderbenden Sturmwinde; wie ein Wetter gewaltiger, überflutender Wasser reißt er zu Boden mit Macht.“ Siehe weiter auch Jeremia 47, 2, wo er im Vorbild dargestellt wird, und schließlich Daniel 11, 40. 41, was direkt Bezug hat auf den Einfall des Assyrers in der Endzeit: „Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm [nämlich „dem König“, das ist der Antichrist] zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn [derselbe] anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen; und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten. Und er wird in das Land der Zierde (siehe 8, 9) eindringen und viele Länder werden zu Fall kommen; diese aber werden seiner Hand entrinnen: Edom und Moab und die Vornehmsten der Kinder Ammon“ (vgl. auch die Verse 10, 22 und 26). Genau dasselbe Wort „überfluten“ wird auch mehrere Male gebraucht, um das Gericht Gottes über Assur auszudrücken (Jes 30, 28; Nah 1, 8).
Jesaja 28, 2 und Daniel 11, 40 haben außer dem gleichen Wort „überschwemmen“ (schathaph) eine weitere Übereinstimmung. In beiden Versen wird nämlich eine sehr seltenes hebräisches Wort für „Sturm“ oder „anstürmen“ (sa‑ar) gebraucht, um den Einfall des Assyrers zu charakterisieren. In der ersten Stelle kommt er als ein „verderbender Sturmwind“, und in der zweiten lesen wir, daß er „anstürmt“ gegen den Antichristen (vgl. das nahezu gleiche Wort in Habakuk 3, 14). Auch in Nahum 1, 3 wird dasselbe Wort (Sturmwind, vgl. Ps 58, 9) gebraucht, um das Gericht Gottes über Assur zu bezeichnen.
Wie ein überflutender Strom, wie ein daherfegender Sturmwind wird der Assyrer einfallen. Verschiedene Schriftstellen malen uns die ratlose Angst vor Augen, die Israel dabei überfallen wird: „Er kommt gegen Aijath, zieht durch Migron; in Mikmas legt er sein Gepäck ab. Sie ziehen über den Paß, zu Geba schlagen sie ihr Nachtlager auf. Rama bebt, Gibea Sauls flieht. Schreie laut, Tochter Gallims! Horche auf, Lais! Armes Anathoth! Madmena eilt davon, die Bewohner von Gebim flüchten. Noch heute macht er halt in Nob; ‑ er schwingt seine Hand gegen den Berg der Tochter Zion, den Hügel Jerusalems“ (Jes 10, 28‑32). Diese Orte liegen fast alle etwas nördlich von Jerusalem, immer näher auf die Stadt zu. Immer weiter wird die schreckliche Invasion zu ihrem eigentlichen Ziel heraufrücken: Jerusalem! Auch dort wird die Angst die Bevölkerung packen und sich ihres Hauptes, des Antichristen bemächtigen. Das wird uns vorbildlich in Jeremia 4 dargestellt: „Verkündiget in Juda und laßt in Jerusalem vernehmen, und sprechet: Stoßet in die Posaune im Lande! rufet aus voller Kehle und sprechet: Versammelt euch und laßt uns in die festen Städte ziehen! Erhebet ein Panier gegen Zion hin; flüchtet, bleibet nicht stehen! denn ich bringe Unglück von Norden her und große Zerschmetterung. Ein Löwe steigt herauf aus seinem Dickicht, und ein Verderber der Nationen bricht auf; er zieht von seinem Orte aus, um dein Land zur Wüste zu machen, daß deine Städte zerstört werden, ohne Bewohner. Darum gürtet euch Sacktuch um, klaget und jammert! denn die Glut des Zornes Jahwes hat sich nicht von uns abgewendet. Und es wird geschehen an jenem Tage, spricht Jahwe, da wird das Herz des Königs und das Herz der Fürsten vergehen; und die Priester werden sich entsetzen, und die Propheten erstarrt sein“ (Verse 5‑9). Dieser Abschnitt läßt vermuten, daß viele Juden aus Juda einen Zufluchtsort in Jerusalem suchen werden, um dem Verderber aus dem Norden zu entkommen. Aber es wird sich als unmöglich erweisen, dem Zorn Jahwes zu entrinnen, und deshalb geschieht es zurecht, daß den Antichristen und seine Fürsten das Entsetzen packt.
Belagerung und Einnahme Jerusalems
Der Assyrer wird bis vor die Mauern Jerusalems kommen und dort eine Belagerung errichten, wie wir bereits in Micha 4, 4 gesehen haben. In Jesaja 22, 6‑11, wo der Einfall Kirs beschrieben wird (das ist Assur, siehe 2. Kön 16, 9; Am 1, 5; 9, 7), lesen wir, wie die Täler sich mit Wagen füllen und die Reiter sich in Schlachtordnung gegen das Tor aufstellen. Die Bewohner der Stadt versuchen, sich gegen den Belagerer zu verteidigen, aber suchen nicht da Hilfe, wo sie allein zu finden ist: bei Jahwe. Deshalb müssen ihre Versuche mißglücken, und das finden wir in Joel 2, das wir zu lesen empfehlen. Wir lesen dort von einem „großen und mächtigen Volk“ (Vers 2), und aus Vers 20 ist ersichtlich, daß dies der Feind aus dem Norden ist. Unaufhaltsam ist sein Ansturm gegen die Stadt: „Sie rennen wie Helden, wie Kriegsleute ersteigen sie die Mauer; und sie ziehen ein jeder auf seinem Wege, und ihre Pfade wechseln sie nicht; und keiner drängt den anderen, sie ziehen jeder einzeln auf seiner Bahn; und sie stürzen zwischen den Waffen hindurch und verwunden sich nicht. Sie laufen in der Stadt umher, rennen auf die Mauer, steigen in die Häuser; durch die Fenster dringen sie ein wie der Dieb . . . denn groß ist der Tag Jahwes und sehr furchtbar, und wer kann ihn ertragen?“ (Verse 7‑11). Aber auch jetzt noch ist es möglich, sich zu bekehren. Gott bleibt ein Gott der Gnade und des Erbarmens (Verse 12‑14).
Jerusalem wird fallen. „Wenn Assyrien in unser Land kommen und wenn es in unsere Paläste treten wird . . . “ (Mi 5, 4). „Wenn die überflutende Geißel hindurchfährt [nämlich durch Jerusalem, siehe Jes 28, 14], so werdet ihr von derselben zertreten werden. Sooft sie hindurchfährt, wird sie euch hinraffen; denn jeden Morgen wird sie hindurchfahren, bei Tage und bei Nacht. Und es wird eitel Schrecken sein, die Botschaft zu vernehmen“ (Jes 28, 18. 19). Einen großen Anteil an diesem Schrecken wird Edom haben, einer der Bundesgenossen des Assyrers, wie Obadja ihn beschreibt: „An dem Tage, da du gegenüber standest, an dem Tage, da Fremde sein [Jakobs] Vermögen [d. i. Streitmächte] hinwegführten, und Ausländer zu seinen Toren eingezogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen . . . “ Mit großer Schadenfreude nimmt Edom teil an dem Unglück Israels, und ist dabei, in die Stadt einzuziehen, ja, steht sogar bereit, diejenigen, die aus der Stadt entrinnen, zu vertilgen (Verse 11‑14). Kein Wunder, daß der Psalmist von ihm sagt: „Gedenke, Jahwe, den Kindern Edom den Tag Jerusalems, die da sprachen: Entblößet, entblößet sie bis auf ihre Grundfeste!“ (Ps 137, 7).
Sacharja 14 schildert uns das, was als erstes mit Jerusalem geschieht, der Reihenfolge nach: „Siehe, ein Tag kommt für Jahwe, da wird deine [Israels] Beute verteilt werden in deiner Mitte. Und ich werde alle Nationen nach Jerusalem zum Kriege versammeln; und die Stadt wird eingenommen und die Häuser werden geplündert und die Weiber geschändet werden; und die Hälfte der Stadt wird in die Gefangenschaft ausziehen, aber das übrige Volk wird nicht aus der Stadt ausgerottet werden“ (Verse 1. 2).
Die Stadt wird geplündert werden. Vor allem der abscheuliche Tempel, in dem der Götzendienst des Antichristen in voller Blüte stand, wird dem Boden gleichgemacht werden. In Jesaja 66 sehen wir, wie sehr Gott diesen Tempel verabscheut und deshalb das Gericht über diesen Tempel und über die gottlosen Opferer ankündigen muß. Dieses Gericht wird ein Trost sein für die Treuen: „Höret das Wort Jahwes, die ihr zittert vor seinem Worte! Es sagen eure Brüder, die euch hassen, die euch verstoßen um meines Namens willen: Jahwe erzeige sich herrlich, daß wir eure Freude sehen mögen! Aber sie werden beschämt werden. Stimme eines Getöses von der Stadt her! Stimme aus dem Tempel! Stimme Jahwes, der Vergeltung erstattet seinen Feinden!“ (Verse 5. 6). „Darum wird euretwegen Zion als Acker gepflügt werden, und Jerusalem wird zu Trümmerhaufen und der Berg des Hauses zu Waldeshöhen werden (Mi 3, 12; Jer 26, 18). Hierüber sprechen auch die Psalmen, in denen der Tempel solch eine bedeutsame Rolle spielt: „Gott! die Nationen sind in dein Erbteil gekommen, haben deinen heiligen Tempel verunreinigt, haben Jerusalem zu Trümmerhaufen gemacht. Die Leichen deiner Knechte haben sie den Vögeln des Himmels zur Speise gegeben, das Fleisch deiner Frommen den wilden Tieren der Erde. Sie haben ihr Blut wie Wasser vergossen, rings um Jerusalem, und niemand war da, der begrub“ (Ps 79, 1‑3). Hier sieht der Glaube den Tempel noch als „heilig“, was der Tempel vor der letzten halben Jahrwoche auch war, als dort die Treuen opferten. Dasselbe Thema haben wir in Psalm 74: „Alles im Heiligtum hat der Feind verderbt . . . Sie haben dein Heiligtum in Brand gesteckt, zu Boden entweiht die Wohnung deines Namens. Sie sprachen in ihrem Herzen: Laßt uns sie niederzwingen allesamt! ‑ verbrannt haben sie alle Versammlungsstätten Gottes im Lande. Unsere Zeichen sehen wir nicht; kein Prophet ist mehr da, und keiner bei uns, welcher weiß, bis wann“ (Verse 3‑9).
Das Volk wird gezüchtigt
Diese Psalmen bringen uns zu dem armen Überrest, der inmitten dieser schrecklichen Gerichte in Jerusalem standhalten wird. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die Psalmen vor allem die Stimme des Überrestes sind. Wenn wir verstehen, daß es der zukünftige Überrest ist, der in den Psalmen spricht, dann haben wir zugleich den Schlüssel zu diesem Buch. Natürlich ist das Hauptthema, wie überall, Christus, aber hier nicht als Haupt der Versammlung gesehen (das ist erst im N. T. geoffenbart worden), sondern als Messias Israels, verworfen und getötet von der gottlosen Masse, aber von einer kleinen Gruppe Treuer angenommen. Mit diesem gläubigen Überrest macht Christus sich in den Psalmen eins, sowohl in ihrer Bedrängnis von seiten des Antichristen als auch in ihrer nachfolgenden Verherrlichung. Die Psalmen zeigen uns also das Leiden Christi während Seines Lebens und Sterbens auf der Erde, zugleich aber auch das Leiden des Überrests in der Zukunft. Inmitten all dieses Druckes vertrauen sie auf Jahwe: „Gott ist ja mein König von alters her, der Rettungen schafft inmitten des Landes“ (Ps 74, 12). Sie anerkennen ihre Schuld gegen Jahwe und bitten um Vergebung; zugleich verlangen sie nach der Rache Gottes über ihre Feinde, ihre Nachbarstaaten: „Und gib unseren Nachbarn ihren Hohn, womit sie dich, Herr, gehöhnt haben, siebenfach in ihren Busen zurück! So werden wir, dein Volk, und die Herde deiner Weide, dich preisen ewiglich, dein Lob erzählen von Geschlecht zu Geschlecht“ (Ps 79, 8‑13). Was ist denn eigentlich das Geheimnis ihres gläubigen Vertrauens, ihrer inneren Ruhe trotz der Schrecknisse der Züchtigung Gottes? Es ist die unerschütterliche Verheißung Gottes: „Darum, so spricht der Herr, Jahwe: Siehe, ich gründe einen Stein in Zion, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, auf festeste gegründet; wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes 28, 16).
Assur, die Rute Gottes, wird in der Tat das Volk schrecklich züchtigen. Gott hatte so ernst gewarnt: „Wehe der Widerspenstigen und Befleckten, der bedrückenden Stadt! Sie hat auf keine Stimme gehört, keine Zucht angenommen . . . Ich sprach: Möchtest du mich nur fürchten, möchtest du Zucht annehmen! und ihre Wohnung würde nicht ausgerottet werden ‑ alles was ich über sie verhängt habe“ (Zeph 3, 1. 2. 7). Aber Israels Wunde ist unheilbar: Gott wird sie doch schlagen müssen wegen der Größe ihrer Ungerechtigkeit und weil ihre Sünden zahlreich sind (Jer 30, 12‑15). In Zephanja 1 lesen wir, wie gründlich Gott alle schmutzigen Flecken aus Jerusalem entfernen wird: Er wird Seine Hand gegen alle Bewohner Jerusalems richten und daraus Götzen und Gottlosen wegtun; am Tag Jahwes (das ist bei der Wiederkunft Christi, dann werden alle diese Gerichte vollendet werden) wird Er drei verdorbene Stellen ausmerzen: die Wohlfahrt (Vers 8), die Gewalt (Vers 9) und die falsche Ruhe (Vers 12). In allen Ecken der Stadt wird panische Angst sein (Verse 10 und 11). So lesen wir auch in Jesaja 33, 14: „Die Sünder in Zion sind erschrocken, Beben hat die Ruchlosen ergriffen. ,Wer von uns kann weilen bei ewigen Gluten?‘ ‑ . . . Deine Augen werden den König schauen in seiner Schönheit . . . Deine Augen werden Jerusalem sehen, eine ruhige Wohnstätte, ein Zelt, das nicht wandern wird . . . Jahwe unser König; er wird uns retten“ (Verse 15‑22).
Was den Terror des Assyrers in Israel betrifft, so ist es wichtig, Jesaja 17 zu studieren. Wir sehen dort zuerst, daß der Assyrer in der Vergangenheit Damaskus und Ephraim in die Gefangenschaft geführt hat (siehe 2. Kön 16, 9; 17, 5. 6). Aber die weitere Prophezeiung reicht deutlich bis zur Endzeit; das geht aus Jesaja 17, 10. 11 hervor. Dort sehen wir, wie das Volk im Unglauben in das Land zurückkehren wird und „liebliche Pflanzungen“ anlegt und sie mit „ausländischen Reben“ (Hilfe aus dem Ausland) bepflanzt; es wird ihnen sehr wohl ergehen, aber nach kurzer Zeit wird alle diese Wohlfahrt vernichtet werden. Das wird in den Versen 4‑6 beschrieben. Die Herrlichkeit Jakobs wird gering und das Fett seines Leibes mager werden (seine Wohlfahrt geht zugrunde), ja, sie werden niedergemäht wie bei der Getreideernte und lediglich eine kleine Nachlese (wörtlich: „der Überrest“) wird übrigbleiben: einige Ähren, einige Früchte (vgl. zu der Getreideernte, dem Bild des Gerichts, bei dem die Stoppeln, das Stroh und das Unkraut verbrannt werden und das Korn gesammelt wird: Mal 4, 1; Mt 13, 29. 30. 38‑43; Offb 14, 14‑16). Von dem ganzen großen Volk, das dann nach Palästina zurückgekehrt ist, wird durch die Gerichte schließlich bei der Wiederkunft nichts anderes übrig sein als einige Ähren, die den treuen Überrest bilden. Eine andere Stelle spricht hiervon, und zwar als eine Folge der Ermordung des Messias: „Und es wird geschehen im ganzen Lande, spricht Jahwe: zwei Teile davon werden ausgerottet werden und verscheiden, aber der dritte Teil davon wird übrigbleiben. Und ich werde den dritten Teil ins Feuer bringen, und ich werde sie läutern, wie man das Silber läutert und sie prüfen, wie man das Gold prüft. Es wird meinen Namen anrufen, und ich werde ihm antworten; ich werde sagen: Es ist mein Volk; und es wird sagen: Jahwe ist mein Gott“ (Sach 13, 8. 9).Von diesem Überrest sagt Jesaja 17, 7: „An jenem Tage wird der Mensch auf den hinschauen, der ihn gemacht hat, und seine Augen werden auf den Heiligen Israels blicken.“ Dieser Überrest wird erlöst werden, während uns die Verse 12‑14 zeigen, wie die Feinde vernichtet werden.
Das erste Wehe aus Offenbarung 9
Vorläufig noch ein letztes Wort über den Einfall des Assyrers in Palästina, und zwar in Verbindung mit Offenbarung 9. Das ist sicher kein einfaches Kapitel, und der Zusammenhang mit dem Assyrer wird auch nicht sofort deutlich, so daß ein intensives Studium dieses Abschnitts nötig ist. Die Kapitel 8 und 9 gehören zusammen. Nach den vorausgegangenen Unruhen, die das römische Reich in Kapitel 6 (Kapitel 7 ist eine Einschaltung) getroffen haben, finden wir in den Kapiteln 8 und 9 Gottes unmittelbare Gerichte über dieses Reich. Die ersten vier Posaunen (Kap. 8) richten sich gegen den irdischen Wohlstand und gegen die großen Männer des römischen Reiches, und zwar im eigentlichen Teil des Reiches, dem Westen („dem dritten Teil der Erde“ ‑ vgl. Offb 12, 3. 4). Danach führt uns Kapitel 9 zu dem östlichen Teil des Reiches, wo die Menschen wohnen, die „nicht das Siegel Gottes an ihren Stirnen haben“ (Vers 4) (fünfte Posaune), und zu den Mächten am Euphrat (sechste Posaune). Uns geht es jetzt um die fünfte Posaune, um die Menschen ohne das Siegel Gottes; das ist also das gottlose jüdische Volk, das hier infolge seines Bundes mit dem römischen Staatsoberhaupt als ein Teil des römischen Einflußbereiches gesehen wird (Jes 28, 15; 57, 9; Dan 9, 27). Wir sehen hier, daß dieses gottlose Volk von dämonischen Mächten angegriffen wird, die es fünf Monate lang peinigen. Welche Heeresmacht ist das, die in der Endzeit das gottlose Israel angreifen wird, obwohl Israel ein Bündnis mit dem römischen Staatsoberhaupt geschlossen hat? Wer ist dieser Feind, den Gott als ein Gericht sendet, der aber gleichzeitig durch dämonische Mächte getrieben wird? Es kann kein anderer sein als der König des Nordens; er wird hier nicht mit Namen (Assyrer) genannt, wie das ja auch nicht in den beiden anderen prophetischen Büchern der Fall ist, die über die Zeiten der Nationen sprechen: Daniel und (teilweise) Sacharja. Finden wir in diesem Kapitel eine Bestätigung, daß der Heilige Geist hier tatsächlich den Assyrer meint? Wir denken wohl.
Wie gesagt, ist der Assyrer die Rute des Zornes Gottes (Jes 10, 5), und Jahwe wird vor ihm her Seine Stimme erschallen lassen (Joel 2, 11). Ebenso wird er auch hier als Gericht von seiten Gottes gesandt (Offb 8, 13; 9, 1. 4. 5); gleichzeitig jedoch wird er durch dämonische Mächte getrieben (Verse 1‑3), die ihn mit Hochmut und Haß erfüllen (Jes 10, 12‑15), so daß er schließlich dasselbe Gericht wie der Teufel erfahren wird (Jes 30, 33a; Offb 20, 10).
Weiterhin sehen wir, daß er Macht über die gottlosen Juden bekommt, aber nicht über die, die das Siegel Gottes haben (den Überrest); tatsächlich wissen wir, daß bei dem Einfall des Assyrers die treuen Juden aus Judäa schon ins Ausland geflüchtet sind, während der zurückgebliebene Überrest in Jerusalem von Gott Selbst bewahrt wird.
Über die gottlosen Juden bekommt er fünf Monate Macht, sie zu peinigen; das könnte sehr gut die Zeit zwischen der ersten und der zweiten Belagerung sein, die er gegen Jerusalem durchführen wird (über die erste haben wir gesprochen, die zweite folgt noch). In dieser Zeit wird er das Land besetzt halten und sie furchtbar unterdrücken, aber es wird noch nicht die Zeit sein, sie zu töten (Verse 5 u. 6). So haben wir in Sacharja 14, 2 gesehen, daß die Hälfte der Bewohner Jerusalems in die Gefangenschaft geführt wird (nach der ersten Belagerung), daß aber der Rest des Volkes in der Stadt nicht ausgerottet wird. Dazu müssen wir bedenken, daß die wirkliche Schlachtung (die Getreideernte in Jesaja 17) erst bei der Wiederkunft Christi stattfinden wird (vgl. die angeführten Stellen in Mal 4; Mt 13 und Offb 14). Bis zu diesem Zeitpunkt werden die Gottlosen die schreckliche Unterdrückung des Assyrers durchmachen müssen, ohne daß sie daraus durch den Tod erlöst werden können (Vers 6; vgl. Jer 8, 3).
Vergleichen wir weiterhin diese Beschreibung der großen feindlichen Heeresmacht, die in Israel einfallen wird (Verse 7‑9), mit anderen Beschreibungen, dann fällt uns die Übereinstimmung mit (z. B.) Joel 1, 6 und 2, 2‑10 auf, wo wir das assyrische Heer finden. Der Charakter dieses Heeres ist königlich, denn sie tragen auf ihren Köpfen wie Kronen gleich Gold; das deutet hin auf die königliche Würde des assyrischen Staatsoberhauptes (siehe Jes 8, 7; Nah 3, 18; Dan 8, 23‑25; 11, 40‑45). Es ist aber kein unabhängiges Königtum: es sind wie Kronen gleich Gold, und was noch wichtiger ist: von vorne waren sie männlich (Kraft), aber von hinten schienen sie Haar wie Frauenhaar zu haben, und wir wissen, daß das auf Abhängigkeit und Unterwerfung hinweist (4. Mo 6, 5; 1. Kor 11, 1‑16). Tatsächlich wird der König des Nordens nicht durch seine eigene Macht stark sein, sondern er stützt sich auf die große Macht, die hinter ihm steht: Gog, den Fürsten Rußlands (Dan 8, 24). Und schließlich befindet sich in ihrem Schwanz das Skorpionengift, mit dem sie das Volk vergiften und beschädigen werden. Das sind teuflische Ideen (um nicht zu sagen Ideologien), womit er Macht ausübt (siehe Verse 3 und 5). Angesichts der heutigen politischen Lage könnte dies auf den Kommunismus wie auch auf den Islam hinweisen, aber hierüber sollten wir besser nicht spekulieren. Auf jeden Fall scheint dieses teuflische Gift in Verbindung zu stehen mit der Schlauheit, der List und den Schmeicheleien, die wir von dem König des Nordens in Daniel 8, 23‑25 und 11, 32 finden. Damit wird er das Volk in den Griff bekommen und verderben.
Die Not des Überrestes
Nach dieser Beschreibung des Einfalls des Assyrers in Palästina und der Eroberung Jerusalems wollen wir uns am Ende dieses Kapitels mit einem Thema beschäftigen, das einen sehr breiten Raum in den Prophezeiungen einnimmt, nämlich mit den tiefen Gefühlsregungen, die den Überrest während der letzten halben Jahrwoche beherrschen. Auf welch unglaublich schwere Weise wird der Glaube der treuen Israeliten in dieser Zeit geprüft werden! Wir sind selbst ergriffen, wenn wir sehen, was sie durchmachen müssen, bevor sie in die verheißene Herrlichkeit eingehen. In ihrer furchtbaren Not werden sie rufen, ja, zu ihrem Gott um Rettung schreien, indem sie ihre Sünden bekennen und an den Messias glauben, den sie aus dem Himmel erwarten. Wie wichtig ist es auch für unseren Glauben zu sehen, wie diese treuen Juden trotz der schweren Prüfungen standhalten! Wir haben bereits mehrere Male gesehen, daß vor allem die Psalmen uns zeigen, mit welchen Empfindungen die Gläubigen noch mit Jerusalem und dem Tempel verbunden sind, und wie Christus dort der Gegenstand ihrer Gedanken ist.
Im zweiten Psalmbuch befinden wir uns jedoch in der letzten halben Woche, wenn die Treuen in Judäa aus dem Land flüchten werden. Hier sind sie weit vom Tempel entfernt und seufzen inmitten der Völker, unter denen sie sich aufhalten. Gleichzeitig verspüren sie die Gottlosigkeit des Volkes mit seinem Führer, dem Antichristen. Diesen Zustand der Gefangenschaft, aus dem Land vertrieben, finden wir im Vorbild in der Geschichte Jonas wieder. Das Buch Jona ist als ganzes genauso „Prophetie“ wie jedes andere Buch der kleinen Propheten. Der Hilferuf Jonas aus dem Bauch des Fisches (Kap. 2) ist derselbe Hilferuf wie der des Überrestes in den Psalmen (vor allem also im zweiten Buch): „Denn du hattest mich in die Tiefe, in das Herz der Meere geworfen, und der Strom umschloß mich; alle deine Wogen und deine Wellen fuhren über mich hin. Und ich sprach: Verstoßen bin ich aus deinen Augen; dennoch werde ich wieder hinschauen nach deinem heiligen Tempel“ (Verse 4 und 5). Er befand sich unter den gottlosen Götzendienern des Volkes: „Die auf nichtige Götzen achten, verlassen ihre Gnade [d. h. ihren gnädigen Gott]. Ich aber werde dir opfern mit der Stimme des Lobes; was ich gelobt habe, werde ich bezahlen. Bei Jahwe ist die Rettung“ (Verse 9 und 10). Wir wollen nun ganz kurz diesen Gedanken im zweiten Psalmbuch nachgehen; dabei verweisen wir immer auf einige kennzeichnende Stellen.
Das zweite Psalmbuch
Eine kurze Inhaltsangabe dieses Buches finden wir in den beiden ersten Psalmen. Beachte, daß in diesem Buch der Name des Bundesgottes Jahwe kaum vorkommt, weil die öffentliche Verbindung zwischen Gott und dem Volk durch den Götzendienst und die Flucht des Überrestes unterbrochen ist. Wir sehen hier, wie sie von dem Heiligtum Gottes weit entfernt sind (Ps 42, 2. 4; in Vers 6 sind sie auf der Flucht: 43, 3‑5), aber ihr Vertrauen richtet sich auf Gott. In Psalm 42 erdulden sie den Druck der feindlichen Völker (Verse 3b. 9. 10), und in Psalm 43 geht es um die gottlosen Juden (Vers 1). In Psalm 44 vergleichen sie die ruhmreiche Vergangenheit mit der Schmach der Gegenwart inmitten der Nationen (Vers 14); sie sind die zerstreuten Schafe (Vers 11 und 22) aus Sacharja 13, 7. Die Psalmen 45‑49 zeigen dann, wie der Messias erscheint, um die Treuen zu erlösen und Seine Regierung anzutreten; Psalm 45 spricht von der Herrlichkeit Seiner Person, Psalm 46 von der Erlösung des Volkes (Verse 1. 4‑6. 9‑ 11); Psalm 47 stellt die Königsherrschaft Gottes über die Erde vor (der Messias ist Gott), Psalm 48 zeigt die Art und Weise, wie die Erlösung zustande kommen wird: das Gericht über die Nationen (Verse 4‑8) und die wiederhergestellte Herrlichkeit Zions und des Tempels (Verse 1‑3. 8. 9. 11‑14); Psalm 49 zeigt, was wahre Erlösung bedeutet: Gott erlöst die Seele von dem ewigen Verderben (Verse 7. 8. 12‑16).
Nachdem in den Psalmen 45‑49 die allgemeinen Grundsätze angegeben worden sind, werden diese in dem Rest des Buches ‑ noch ausführlicher behandelt. Die Psalmen 50 und 51 enthalten den Kern der Sache: Gott hat einen Rechtsstreit mit Seinem Volk wegen ihrer Sünden (Ps 50, 4. 14. 15), aber es besteht ein Unterschied zwischen den Treuen und den Gottlosen (Verse 16‑23). Die Grundlage, auf der der Jude Gott nahen kann, wird das völlige Schuldbekenntnis sein (Ps 51). Diese beiden Psalmen enthalten den Rahmen der übrigen Psalmen dieses Buches: In den Psalmen 52‑54 sehen wir die Gottlosigkeit in Jerusalem unter dem Antichristen (vgl. Ps 50, 16‑21), und in den Psalmen 55‑68 finden wir die Schuldgefühle des Überrestes wie auch ihren Glauben und ihre Hoffnung, danach den Frieden am Ende (das stimmt mit Psalm 51 überein). In Psalm 52 sehen wir den Antichristen als den „Gewaltigen“ und den „Betrüger“, in Psalm 53 als den „Toren“, der Gott nicht anerkennt, und in Psalm 54 sehen wir ihn als den „Fremden“ und „Gewalttätigen“, und das alles ständig mit Bezug auf die Not des Überrestes.
In Psalm 55 sieht der Gläubige (obwohl er sich auf der Flucht befindet, Verse 2. 6‑8) die Gewalt in Jerusalem (Vers 9) und trauert darüber. In Psalm 56 klagt der Gläubige, während er ängstlich umherirrt (Vers 8), doch Gott ist eine Zuflucht (Ps 57). Besonders auffallend ist, daß viele dieser Psalmen zur Zeit der Flucht Davids vor Saul (der ein Vorbild des Antichristen ist) geschrieben worden sind; siehe die Überschriften der Psalmen 52; 54; 56; 57; 59; 60; 63. In Psalm 58 beruft der Glaube sich auf das Recht bei Gott, in Psalm 59 auf die Hilfe Gottes und Sein Gericht: die Nationen werden geschlagen (Verse 14‑17). Psalm 60: der Überrest war verstoßen, ist aber erlöst, und die Feinde sind vernichtet (Verse 2. 5‑9). Aber das alles ist erst für den Glauben eine Wirklichkeit geworden; tatsächlich befinden sie sich immer noch in der Gefangenschaft (Ps 61, 2); zugleich aber hoffen sie auf den König (Verse 6 und 7) und auf Gott, dessen Treue unwandelbar ist (Ps 62). In Psalm 63 sind sie noch in einem dürren und lechzenden Land, doch hier beseelt sie die Hoffnung auf den Messias (Verse 1 und 11).
Dann wird der Glaube Wirklichkeit: die Gottlosen werden gerichtet (Ps 64) und die Gläubigen befreit (Ps 64, 10), ihre Sünden gesühnt (Ps 65, 3); sie werden zum Tempel zurückgebracht (Vers 4) und reich gesegnet (Verse 9‑13). Die ganze Erde teilt ihre Freude (Ps 66), und allen Nationen wird die Erlösung Israels verkündet (Ps 67). Psalm 68 ist der Höhepunkt: Christus erscheint in Herrlichkeit und zerstreut die Feinde, erlöst Sein Volk und tritt Seine Regierung an. Wunderschön ist dann zu sehen, wie sich an die Beschreibung der Herrlichkeit des Messias direkt ein Überblick über den schweren Weg bis zu dieser Herrlichkeit anschließt, ein Weg der Erniedrigung, der Schmach, der Leiden und des Sterbens (Ps 69). Er, der Sündlose in den Händen sündiger Menschen! Was sie Ihm antun, das sehen wir in den Psalmen 69‑71. Und dieses Leiden ‑ natürlich nur, soweit es nicht um sühnendes Leiden, sondern zum Leiden der Gerechtigkeit wegen geht ‑ wird der Überrest teilen; im besonderen sehen wir in Psalm 71 den Überrest in der Gewalt des Antichristen (Vers 4). Aber es gibt eine Erlösung (Ps 69, 30‑36; 71, 21‑24), und schließlich wird der wahre Salomo (der Friedefürst) in Recht und Gerechtigkeit regieren. Dann werden alle Nationen Ihn ehren und Israel wird die Segnungen des Tausendjährigen Reiches genießen (Ps 72).
Andere Schriftstellen, die von der Drangsal der Treuen sprechen
Nach dieser sehr gestrafften Übersicht, die nur als Leitfaden dienen kann, um diese Psalmen selbst etwas näher im Licht der Prophetie zu studieren, wollen wir noch kurz sehen, was die übrigen Psalmen und die Propheten von dieser Seelennot des Überrestes sagen. Psalm 107 haben wir schon früher angeführt und gesehen, wie der Überrest in die Gefangenschaft gehen wird (Verse 38‑42); die wahrhaft Weisen werden auf die Gütigkeiten Jahwes achten (Vers 43). Äußerst wichtig ist für uns auch Psalm 123, weil wir dort den bedrängten Überrest in Jerusalem finden, während wir bisher mehr den Überrest in der Gefangenschaft gesehen haben. Die Psalmen 120‑134 sind, wie gesagt, die sogenannten „Stufenlieder“; sie stehen in Verbindung mit dem „Hinaufziehen“ nach Jerusalem. Nun, diese fünfzehn Psalmen geben uns einen besonders schönen Überblick über die Erlösung Jerusalems in der Endzeit, wenn der Überrest aus der Gefangenschaft nach Jerusalem hinaufziehen wird, um die Stadt zu befreien (das hoffen wir noch ausführlicher zu besprechen). Diese fünfzehn Psalmen bestehen aus fünf Gruppen von je drei Psalmen; die ersten drei zeigen uns den Überrest in der Gefangenschaft (siehe die bereits angeführte Stelle in Psalm 120, 5), doch der Überrest sehnt sich nach Jerusalem (122, 11). In den Psalmen 123‑125 sehen wir den bedrängten Überrest in Jerusalem und seine Erlösung. In Psalm 123 seufzen sie unter dem Spott der „Sorglosen“ (oder: Übermütigen; das sind die Assyrer, siehe 2. Kön 19, 28) und unter der Verachtung der „Hoffärtigen“ (das ist das Volk des Antichristen, siehe Jes 33, 14. 19). In Psalm 124 preisen sie Jahwe, daß sie dem „überflutenden Strom“ entkommen sind. Wir sahen bereits, daß der Strom ein Bild des Assyrers ist (Jes 8, 7. 8; 28, 2. 15. 18; 59, 19), und die „stolzen Wasser“ sind ebenso wie die Hoffärtigen in Psalm 123 das gottlose Volk unter dem Antichristen; diese beiden Mächte werden, gleich Vogelstellern, den Treuen Schlingen legen (Vers 7; siehe Ps 64, 5; 91, 3; 140, 5; 141, 9. 10; Jer 5, 26).
Was die Propheten betrifft, so können wir unmöglich auf all die vielen Schriftstellen ausführlich eingehen. Auch hier beschränken wir uns auf eine Auswahl, was jedoch nicht die Bedeutung dieses Themas schmälern soll. Verschiedenartig sind die Gefühle und die Aussprüche, die wir während dieses Zeitabschnittes bei dem Überrest finden. Manchmal ist da ein Ton der Verzweiflung (im Vorbild in Jer 20, 14‑18), aber häufiger ist es der Ton des festen Vertrauens und der Hoffnung auf Gott in der Zeit der Drangsal (Jes 25, 9; 33, 2), ein Glaube, daß der Assyrer und andere Feinde geschlagen werden (Mi 7, 7‑13; Hab 3, 16‑19) und daß Jahwe der Treuen gedenken wird (Mal 3, 16). Manchmal finden wir auch, daß sie sich auf ihre eigene Treue berufen (Jer 15, 15‑18), zugleich aber (und daß ist häufiger der Fall) anerkennt das Volk seine große Schuld und ebenfalls die Gerechtigkeit Gottes im Gericht über das Volk; Schuldbekenntnis und Bekehrung führen dazu, daß sie sich nicht auf ihre eigenen Rechte berufen, sondern auf die Gnade Gottes (lies Jes 42, 24. 25; 59, 9‑15; Hos 5, 15; Joel 2, 12‑14; Mi 7, 9).
Am stärksten ist der anhaltende Ruf nach Rettung in der schrecklichen Not; ein Ruf nach Heilung, Erlösung und Rache (Jer 17, 14‑18; 18, 19‑23). Die Treuen in Jerusalem werden Jahwe gemeinsam um Rettung anflehen (Joel 2, 15‑17) und Ihn fragen: „Wie lange, Jahwe, habe ich gerufen, und du hörst nicht! Ich schreie zu dir: Gewalttat! und du rettest nicht“ (Hab 1, 2‑4). In einigen dieser Schriftstellen (siehe auch Jes 66, 5) lesen wir, daß die Gottlosen fragen: Wo ist denn euer Gott? Wo bleibt denn das Wort Jahwes? Jahwe erzeige sich herrlich! Ja, von seiten des Assyrers erleiden die gottlosen Juden die Drangsal genauso wie die Treuen in Jerusalem; beide Gruppen sind in Not, aber die Gläubigen spüren darüber hinaus noch den furchtbaren Haß ihrer eigenen Volksgenossen: des Antichristen und seiner Genossen, die sie spottend fragen, wo denn ihr Gott sei, auf den sie vertraut haben. Sie haben geglaubt, und nun sind sie trotz des Glaubens in die gleiche Drangsal gekommen; wo bleibt jetzt ihr Glaube? Es ist dasselbe, was die Juden zu dem Herrn Jesus am Kreuz sagten: „Er vertraut auf Jahwe! der errette ihn, befreie ihn, weil er Lust an ihm hat!“ (Ps 22, 8; Mt 27, 43; siehe auch Ps 42, 3. 10; 79, 10; 115, 2)
Der Trost Gottes
Wird Gott denn tatsächlich schweigen und den Überrest seinem Schicksal überlassen? Keinesfalls! Zahlreich sind die Trostworte, die Jahwe an Seine Treuen richtet, zahlreich auch die unerschütterlichen Vorhersagen des Gerichts über die Feinde und des Segens für den Überrest. Wenn das Volk sich bekehren würde, dann würden sie wie eine feste eherne Mauer sein, und die Feinde würden wider sie streiten, sie aber nicht überwältigen (Jer 15, 19‑21). Ja, es wird geschehen, daß jeder, der den Namen Jahwes anruft, errettet wird, denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Errettung sein, wie Jahwe gesagt hat (Joel 2, 32). Häufig sprechen die Propheten ermunternde Worte zu dem bedrängten Volk: „Stärket die schlaffen Hände und befestigt die wankenden Knie! Saget zu denen, welche zaghaften Herzens sind: Seid stark, fürchtet euch nicht! siehe, euer Gott kommt, Rache kommt, die Vergeltung Gottes! er selbst kommt und wird euch retten“ (Jes 35, 3. 4). Jahwe ist gütig, er ist eine Feste am Tage der Drangsal; und er kennt die, welche auf ihn vertrauen. Und mit einer überschwemmenden Flut wird er ihre [das ist Ninives] Stätte gänzlich zerstören“ (Nah 1, 7. 8). Und der große Grundsatz für diese furchtbare Zeit, solange der Friede noch nicht da ist, lautet: „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben“ (Hab 2, 4). Wo keine Aussicht auf einen unmittelbaren Frieden ist, wo die Gottlosigkeit überhand nimmt, überall Bedrängnis und Krieg herrscht, da kann allein der Glaube standhalten ‑ Glaube, der keinen Ausweg sieht, sondern hofft und auf die unverbrüchlichen Verheißungen Gottes vertraut. Herrliche Verheißungen, wie wir beispielsweise in Jesaja 33 lesen, daß die Zukunft dem Aufrichtigen und Treuen gehört (Verse 14‑24); sie werden den König in Seiner Schönheit sehen, sie werden Jerusalem als eine feste Wohnstätte sehen, wenn Jahwe herrlich vor ihnen steht, weil Jahwe ihnen Erlösung und Vergebung schenken wird; Er wird ihr König sein.
Gott Selbst gibt Seinen Treuen die sichere Verheißung der Erlösung; mehrmals ruft Er sie auf, sich nicht vor dem Feind zu fürchten (besonders nicht vor dem Assyrer), weil Er den Feind vernichten wird.
„Fürchte dich nicht, mein Volk, das in Zion wohnt, vor Assur, wenn er dich mit dem Stocke schlagen und seinen Stab wider dich erheben wird nach der Weise Ägyptens! Denn noch um ein gar Kleines, so wird der Grimm zu Ende sein und mein Zorn sich wenden zu ihrer Vernichtung. Und Jahwe der Heerscharen wird über ihn die Geißel schwingen wie in der Niederlage Midians am Felsen Oreb; und sein Stab wird über das Meer sein, und er wird ihn erheben, wie er ihn über Ägypten erhob. Und es wird geschehen an jenem Tag, daß seine Last weichen wird von deiner Schulter und sein Joch von deinem Halse“ (Jes 10, 24‑27) „. . . Siehe, es sollen beschämt und zu Schanden werden alle, die wider dich entbrannt sein; es sollen wie nichts werden und umkommen deine Widersacher . . . Denn ich, Jahwe, dein Gott, ergreife deine Rechte, der ich zu dir spreche: Fürchte dich nicht, ich helfe dir!“ (Jes 41, 8‑20; 43, 1‑8). „Höret auf mich, die ihr Gerechtigkeit kennet, du Volk, in dessen Herzen mein Gesetz ist: Fürchtet nicht der Menschen Hohn . . . Denn wie ein Kleid wird sie verzehren die Motte aber meine Gerechtigkeit wird in Ewigkeit sein, und mein Heil durch alle Geschlechter hindurch“ (Jes 51, 7. 8). „Wer aber zu mir seine Zuflucht nimmt, wird das Land erben und meinen heiligen Berg besitzen“ (Jes 57, 13).
Von den Treuen sagt Jahwe: „Und sie werden mir, spricht Jahwe der Heerscharen, zum Eigentum sein an dem Tage, den ich machen werde [vgl. Ps 118, 24]; und ich werde ihrer schonen, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient. Und ihr [die Gottlosen] werdet wiederum den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Gesetzlosen, zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient [vgl. Offb 3, 9]. Denn siehe, der Tag kommt, brennend wie ein Ofen; und es werden alle Übermütigen und jeder Täter der Gesetzlosigkeit zu Stoppeln werden; und der kommende Tag wird sie verbrennen, spricht Jahwe der Heerscharen, so daß er ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen wird. Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln . . . Und ihr werdet die Gesetzlosen zertreten, denn sie werden Asche sein unter euren Fußsohlen an dem Tage, den ich machen werde, spricht Jahwe der Heerscharen“ (Mal 3, 17‑4, 3).
Aufgrund dieser Verheißungen kann der Überrest mit dem vollsten Vertrauen der Zukunft entgegensehen; sie erkennen die Gerichte als von Gott kommend an, sie schauen aus nach dem Frieden und erwarten die Auferstehung ihrer Toten. Es ist der Mühe wert, in diesem Zusammenhang Jesaja 26 ausführlich zu betrachten, aber wir können hier nur auf einige Punkte hinweisen. Es ist das Lied, das die Erlösten in Juda singen werden (vgl. Offb 14, 1‑5), aber die Erlösung ist hier noch nicht vollständig: es ist noch Nacht (Vers 9), sie sind noch verborgen (Vers 20); der Ausweg steht für sie schon fest (Verse 9. 11. 21 ); die Herren, die über sie geherrscht haben (Vers 13) werden gerichtet; sie selbst werden Frieden haben (Vers 12). Ihre Toten werden aufleben (Vers 19; vgl. Hes 37; Dan 12, 2), aber die gottlosen Toten werden nicht wieder auferstehen (Vers 14).
Diese Gedanken finden wir auch in den wichtigen Versen in Hosea 6, 1‑3: „Kommt und laßt uns zu Jahwe umkehren; denn er hat zerrissen und wird uns heilen, er hat geschlagen und wird uns verbinden. Er wird uns nach zwei Tagen [zweitausend Jahren, vgl. Joh 4, 43] wieder beleben, am dritten Tage uns aufrichten; und so werden wir vor seinem Angesicht leben. So laßt uns Jahwe erkennen, ja, laßt uns trachten nach seiner Erkenntnis! Sein Hervortreten ist sicher wie die Morgendämmerung; und er wird für uns kommen wie der Regen, wie der Spätregen die Erde benetzt.“
Oder wie Joel es ausdrückt: „Und ihr, Kinder Zions, frohlocket und freuet euch in Jahwe, eurem Gott! denn er gibt euch den Frühregen nach rechtem Maße, und er läßt euch Regen herabkommen: Frühregen und Spätregen wie zuvor. Und die Tennen werden voll Getreide sein, und die Kufen überfließen von Most und Öl . . . . Und ihr werdet wissen, daß ich in Israels Mitte bin, und daß ich, Jahwe, euer Gott bin, und keiner sonst. Und mein Volk soll nimmermehr beschämt werden“ (Kap. 2, 23‑27).